Das Frauenvolksbegehren unterstütze ich, weil mir meine Freundin wichtig ist

Meine Freundin ist 40. Bald werden ihre kleinen Kinder so groß sein, daß sie zu ihrem Beruf zurückkehren kann - könnte. Doch jetzt ist ihre Schwiegermutter krank und braucht ständig Pflege. Die Pflege eines Menschen, der an Parkinson leidet, kann man nicht ohne weiteres einfach nebenbei erledigen. Man kann nicht - und Mann sowieso nicht.
Meine Freundin sagt, wenn sie schon 55 wäre, würde sie ihr Berufsleben als gelaufen betrachten und sich damit abfinden, daß sie einfach daheim bleibt und die Schwiegermutter pflegt. Mit 40 kann sie sich noch nicht damit abfinden. So wie unsere Gesellschaft organisiert ist, wäre es - für die Gesellschaft - vorteilhafter, sie würde doch. Ein Pflegefall weniger, ein Arbeitsplatz mehr. Das muß doch von Vorteil sein - es fragt sich nur für wen.

Meine Freundin ist Lehrerin, sie ist eine gute Lehrerin. Ihre SchülerInnen haben nichts davon, wenn sie daheim bleibt. Sie hat an der Universität studiert, die Universitäten werden vom Staat finanziert. Zum Schluß bleibt das vom Staat mitfinanzierte Universitätsstudium bestenfalls reines Privatvergnügen, wenn sie daheim bleibt. Die Pflege eines kranken Menschen ist eine Herausforderung, die zur persönlichen seelischen Bereicherung führen kann - eine Herausforderung, wohl gemerkt, denn eine Überforderung hat nicht dieselbe Wirkung. Doch persönliche seelische Bereicherung hat keinen finanziell meßbaren Wert, deswegen wird die Pflege kranker Menschen schlecht oder gar nicht bezahlt. Wenn die Schwiegermutter in einem Pflegeheim wohnte, wo verschiedene Menschen unter solchen Bedingungen arbeiten könnten, daß sie an der Herausforderung wachsen könnten und nicht an Überförderung leiden, würde das Geld kosten. Das wäre aber eine Ausgabe ohne finanziell meßbare Einnahmen, und so wie unsere Gesellschaft organisiert ist, gehen solche Rechnungen nicht auf. Wir sollten glauben, wir haben zu glauben gelernt, daß solche unausgeglichenen Rechnungen schlecht sind, aber in Wirklichkeit ist unsere Gesellschaft nur schlecht organisiert.
Meine Freundin wohnt in einem relativ kleinen Ort, in dem "traditionelle" Wertvorstellungen vorherrschen. Nach gängiger Auffassung wird es von einer "guten" Tochter oder Schwiegertochter erwartet, daß sie Pflegeaufgaben übernimmt. Eine Frau, die ihren Beruf den anfallenden Pflegeaufgaben vorzieht, gilt als "selbstsüchtig" und "egoistisch". Unterschlagen wird dabei, daß eine Frau, die sich ausschließlich mit Pflegearbeit beschäftigt, selbst immer stärker in Abhängigkeit gerät. Für ihren Lebensunterhalt ist sie entweder von einem Mann abhängig - und Männer können auch krank werden, sich schwer verletzen, mit oder ohne Ankündigung sterben, sich einfach aus dem Staub machen oder die Abhängigkeit ausnutzen, je nach Charakter, Belastbarkeit, beruflichen Möglichkeiten, persönlichen Stärken und Schwächen, usw. - oder ihr Lebensunterhalt wird vom Staat durch Sozialhilfe bereitgestellt - wobei die Sozialhilfe bekanntlicherweise mit Erwerbstätigkeit verknüpft wird. Außerdem werden SozialhilfeempfängerInnen zunehmend als "Sozialschmarotzer" dargestellt: als ob die Scharen von Frauen, die seit jeher die vielfältigen Kindererziehungs-, Altenbetreungs-, ehrenamtlichen, caritativen, und damit auch politischen Aufgaben leisten, ohne die unsere Gesellschaft schon längst zusammengebrochen wäre, diejenigen wären, die den Staat ausnutzen und nicht umgekehrt. Generationen von Frauen haben bereits bewiesen, daß sie stark genug sind, weit mehr zu geben als sie bekommen. Damit haben sie die Grundlage für unsere Wohlstandsgesellschaft geschaffen. Als Dank dafür wird Frauen heute noch eingetrichtert, daß sie stark genug sind, um noch mehr zu entbehren. Doch mit einem "Himmelslohn" läßt es sich auf Erden nicht gerade gut leben.

Es wird immer wieder behauptet, es sei gut, wenn man Kinder hat, damit man im Alter nicht allein ist. Es ist ja zweifellos richtig, daß die Kinder von Heute die Pensionen von Morgen zahlen werden (müssen), aber das Allein-sein oder nicht hängt von sehr vielen Faktoren ab. Sofern diese Behauptung auf die Kleinfamilie beschränkt wird, werden damit alle Beteiligten überfordert. Sich Kinder quasi als Lebensversicherung "anzuschaffen" würde einen Rückfall in längst überwunden geglaubte, archaische Gesellschaftsformen bedeuten. Für Sarah im Alten Testament war es buchstäblich lebensbedrohlich, keine Kinder zu haben: eine ähnliche Situation kann uns nicht erstrebenswert erscheinen. Solange Kinder allerdings in der Politik lediglich als zukünftige PensionszahlerInnen betrachtet werden, muß Kinderbetreuung und Erziehung als eine Art Lagerverwaltung betrachtet werden. Und wenn Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, bedürfen sie wiederum einer analogen Lagerverwaltung. Diese Lagerverwaltungsarbeit fällt derzeit vorwiegend den Frauen zu, und sie wird nicht hoch bewertet, da die Produktionsarbeit den höchsten Stellenwert einnimmt, auch wenn die Produktionskapazität von einer effizienten Lagerwaltung abhängt. Allerdings stellt sich die Frage, ob es im Sinne einer humanen Kultur richtig ist, Menschen als Lagerwaren zu betrachten. Anders als Waren haben Menschen jedes Alters die verschiedensten Gaben und Bedürfnisse, die zwar nicht immer unmittelbar zur Produktionssteigerung beitragen, wohl aber zur Menschlichkeit der Gesellschaft und schließlich zum besseren Leben für alle. Erwachsene Menschen - ob Männer oder Frauen, ob Eltern oder Verwandte oder FreundInnen von Kindern - profitieren vom Umgang mit Kindern, indem sie ihr Einfühlungsvermögen vertiefen, ihre Kreativität erhöhen, mit abgrundtiefer Traurigkeit und grenzenloser Heiterkeit umgehen lernen, und sich wesentlichen Fragen stellen können. Diese Fähigkeiten gehören nicht nur zu den ureigenen Eigenschaften der Menschen, sie sind auch bei modernen Managern sehr gefragt. Eigentlich ist es ungerecht, daß die Vorteile, die aus dem Umgang mit Kindern entstehen, nur den Frauen vorbehalten werden sollen. Noch ungerechter ist es, wenn der Umgang mit Kindern auf Kinderbetreuungspflichten eingeschränkt und in erster Linie den Frauen aufgebürdet wird, weil dann niemand etwas davon hat. Frauen werden so belastet, daß sie ihre vielfältigen Kenntnisse und Gaben in die Gesellschaft gar nicht einbringen können, Männer vereinsamen und erstarren durch ihre Ausgrenzung aus dem Beziehungsgeflecht von Frauen und Kindern, und Kinder, die in dem Bewußtsein aufwachsen, daß sie hauptsächlich als Last empfunden werden, werden kaum bereit oder überhaupt in der Lage sein, Verantwortung für andere zu übernehmen. Möglicherweise werden sie dann die Pensionen der Zukunft gar nicht bezahlen wollen.
Meine Freundin hat ihre Kinder gern, sie hat auch ihre Schwiegermutter gern. Was sie weiß, was sie kann, wie sie gebraucht wird, erschöpft sich allerdings nicht darin. Sie ist eine sehr engagierte Frau, die vielen Menschen fehlen würde, wenn sie sich zurückziehen müßte, um sich ausschließlich Pflegeaufgaben zu widmen. Ganz abgesehen von den persönlichen Nachteilen, die für sie entstehen würden, wenn sie auf mindestens 15 Jahre Berufstätigkeit für ihre eigenen späteren Pensionsansprüche verzichten müßte, wäre der Verlust einer engagierten Frau mit der simplen Formel, ein Pflegefall weniger, ein Arbeitsplatz mehr, keineswegs gerechtfertigt.


April 97
wir lesen hören schauen linz