I.
Ich
fahre gern mit der Eisenbahn. Wenn es geht, reise ich mit der Eisenbahn.
Leider fährt in den Mönchwald kein Zug. Nach Aigen-Schlägl
nur mehr selten. Nach Goisern Jodschwefelbad schon, aber umsteigen muß
ich in Attnang-Puchheim. Nach Wien fahren genug Züge. Ich fahre oft
nach Wien. Wenn es geht, nicht mehr in den Morgenstunden. Denn ÖBB
- Generaldirektor Draxler muß sich bei der Lenkung "seines"
Unternehmens an anderen Maßstäben orientieren als am Komfort
der Reisenden. Kniefrei sitzen ist nicht mehr drin. Es gibt immer ein Gegenüber.
Bis man es geschafft hat, sich zwischen TagespendlerInnen, StudentInnen
und Wien - TouristInnen doch noch so einzurichten, daß wenigstens
eine Mütze Schlaf zu holen wäre, quetschen sich schon die St.
Pöltner herein und nichts geht mehr. Bei der Fahrt nach Linz sind
die Züge zwischen 13 Uhr 28 und 18 Uhr 28 zu meiden. Da kann es passieren,
daß es bis St. Pölten nur einen Stehplatz gibt. Das macht die
Zugfahrt unbequem. In Lintsch müßte man sein, sagt Helmuth Qualtinger
als alternder Provinzschauspieler - das deutsche Alphabet eignet sich nicht
dazu, alle in der Sprache vorkommenden Laute nachzuzeichen. Qualtinger
sagt natürlich nicht Lintsch. In Linz auf dem Bahnsteig tönt
es dann Lenz Hauptbahnhof, Lenz Hauptbahnhof... Das "L" schon
fast beim Meidlinger "l" und dann noch ein sehr breites "i"
hintennach. Es klingt sehr geschert. Aber so ist es nicht. Willkommen daheim.
Linz liegt an der Westbahn. Bis zu 700 Züge täglich passieren
den Linzer Bahnhof. Nach Traunfall kommt man mit dem Zug nicht. Aber in
Linz einsteigen und in St. Malo oder Oostende, in Tampere oder Murmansk,
in Baku oder Tiblissi, in Rijeka, Pula oder Split wieder aussteigen, das
geht. Auf der Landkarte fahre ich oft mit dem Zug. Durch die Türkei
nach Teheran und dann weiter bis zur Endstation Jesd. Oder in Algerien
von Ouahran über Ain Sefra nach Abadla. Die Kolonisatoren hatten vor,
Schienen durch die Sahara bis zu den reichen Städten des Niger zu
legen, aber daraus wurde nichts. Von der Endstation sind es noch ein paar
Kilometer zu den Dünen des Großen Westlichen Erg. Da fängt
die Sahara erst an.
II
Zeichen, Gleise, Waggons, Bankerl, Mistkübel, Lokomotiven, Bahnsteige,
Signale, Türen. In der Fahrdienstleitung werden wir freundlich begrüßt.
Der zuständige Kollege ist unterwegs. Wir holen uns einen Kaffee vom
Kaffeeautomaten. Auf dem schwarzen Brett hängen die Termine für
den Esperantoclub der Eisenbahner. Eisenbahn und Esperanto gehören
unzertrennbar zusammen. Und die Esperantisten geben nicht auf. Europa bekommt
den Euro als einheitliches Geld. Warum nicht auch eine gemeinsame Sprache.
Warum nicht Esperanto, diese Kunstsprache, 1887 zusammengesetzt aus den
gängigsten Sprachen, geschaffen aus der Sehnsucht nach Völkerverständigung
und Frieden? Wahrscheinlich deshalb werden die Esperantisten belächelt
und ignoriert. Der diensthabende Fahrdienstleiter ist freundlich und selbstbewußt.
Welche Zeitung der hillinger ist, will er wissen und unsere ehemalige Druckerei
kennt er. Wir dürfen rauchen und warten auf den Kollegen, der uns
das Stellwerk zeigen wird. Anschließend fotografieren wir alles,
was mit Bahnhof zu tun hat. Signalanlagen, Schienen, Weichen, wartende
Reisende, ÖBB - Lehrlinge auf dem Weg zur Kantine, Verschubler, abgestellte
Waggons, einfahrende Lokomotiven, Schienen im Weitwinkel, Schienen im Verkehrsspiegel,
Schienen in Nahaufnahme, Unterführungen, Bahnsteige, das Stellwerk,
Tauben, Schalthebel. Wir sind nicht die einzigen, die nicht wegfahren.
Es gibt viele Menschen, die sich auf dem Bahnhof herumtreiben. Eisenbahnfreaks,
Einsame, Verlorene, Wartende, Schauer. Es ist ständig alles in Bewegung.
Das wird erst bewußt, wenn man nicht zu den Abreisenden gehört,
die einsteigen und weg sind. Am Bahnhof kann man sich einrichten. Obdachlosen
bleibt oft nichts anderes übrig. Aber freiwillig sich einlassen und
zuschauen und horchen, wie ein Handlungsablauf mit einem ganz anderen koordiniert
ist, wie alles zusammenpaßt, jeder etwas anderes tut, damit das Werkl
rennt, das bringt einen weiter, auch wenn man nicht in den Zug einsteigt.
Pfiffe, zuschlagende Türen, abzischende Züge, Lautsprecherstimmen,
kreischendes Eisen, Stimmen, Getrappel, Kofferradllärm. Als die Züge
im Februar 34 wieder fuhren, da wußten die ArbeiterInnen, daß
alles verloren war.
III
Im Zentralstellwerk sitzen die Fahrdienstleiter vor insgesamt 18 Monitoren.
An der Frontseite des Raumes hängt die große Panoramatafel,
auf der die Bewegung eines jeden Zuges zu verfolgen ist. Von hier aus wird
gelenkt, gesichert und gesteuert, das Betriebsgeschehen erleichtert und
beschleunigt. Fahrdienstleiter Chobot, der uns alles zeigt und erklärt,
hat 200 Überstunden und 80 Urlaubstage offen. Wann er die in Anspruch
nehmen soll, weiß er nicht. Es gibt zu wenig Personal. Man spürt
die Konzentration, die wie elektrische Spannung im Raum steht. Den Eisenbahnern
setzen sie schon lange das Messer an. Der erste große Feldzug gegen
die sozialen Errungenschaften der Eisenbahner wurde von der Kronenzeitung
eingeleitet. Es muß knapp vor oder nach der als Auftakt zur ersten
Sozialschmarotzerkampagne gestarteten Serie von "Sozialmißbrauch"
gewesen sein, da hetzte Staberl gegen die durchaus sinnvolle und für
die Sicherheit wichtige Heißläuferprämie, die ohnehin nur
ein paar Schillinge ausgemacht hat. Auch ÖVP und FPÖ bolzten
fest gegen die "Privilegien" der Eisenbahner. Seit dieser Zeit
wurden Prämien, Pensionen, Gehälter und Personal so zusammengestrichen,
daß es ein Wunder ist, daß nicht mehr passiert ist und passiert.
Als Erklärung muß dann immer "menschliches Versagen"
herhalten. Was auch stimmt, nur versagt haben da ganz andere, die nie zur
Verantwortung gezogen werden. Am 7. Jänner wurde Franz K. von einem
Regionalzug überfahren und getötet. Franz K. war als Weichenschmierer
mit Ölkanne und Pinsel im Bereich des Gleisdreiecks bei der Haltestelle
Franckstraße unterwegs und hat den Zug nach Pregarten übersehen.
Franz. K. wäre in 3 Monaten in Pension gegangen.
Eugenie Kain
Februar 97
wir lesen hören schauen linz