Chloé fällt es schwer, sich von ihrer Katze zu trennen, als
es an der Zeit ist, ans Meer zu fahren. Das schwarze Tier ist ein Teil von
ihr, den herzugeben sie nur widerwillig bereit ist. Einen Gefährten
verliert sie, als die Katze verschwindet und alle Sicherheiten brechen zusammen.
An solchen Punkten haben wir die Wahl: Können wir das Vakuum nicht
ertragen, ziehen wir uns auf die einzige Sicherheit zurück, die noch
vorhanden ist: Das Ich mit seinen Gewohnheiten und wiederholbaren Mustern.
Gelingt es aber, eine amor vacui zu entwickeln, tauchen Dinge auf, von denen
wir keine Vorstellung hatten. Chloé, die Farblose, geht diesen zweiten
Weg. Und gerade weil er mit Stolpersteinen ausgelegt ist, kann sie erkennen,
daß zwei alte Damen aus ihrem Viertel sie an der Hand nehmen und führen.
Immer offener wird sie, immer beweglicher. Gegen Ende wird sie selbst die
Türe öffnen, die zu einem anderen Menschen führt; sie wird
immer ungeduldiger die lähmenden Wartezeiten im Waschsalon ertragen;
sie wird schließlich rennen - und nicht mehr verstohlen ist der Klang
in ihr: Jubel steht in ihrem dann so schönen Gesicht.
"Sie ist der Hausgeist hier; sie richtet, herrscht, begeistet alle
Dinge in ihrem Reich; vielleicht ist sie eine Fee, ist sie ein Gott."
Vor dem Schlußfurioso muß sie allerdings die Katze wiederfinden.
Das gelingt nur, weil sie eine ganz einfache Tat setzt. Sie wärmt einer
alten, kranken Frau, die sie liebgewonnen hat auf ihrer Odyssee, die Suppe
auf. Sie kriecht da aus ihrem Ich heraus zum Du, das sie zu akzeptieren
gelernt hat und kann dann - in einem ganz praktischen Sinn - Wärme
in diese Beziehung bringen. In dem Augenblick, da sie das Neue als Selbstverständliches
für sich gewonnen hat, wird sie wieder ganz: Sie findet ihre Katze.
Und es stellt sich heraus, daß Chloé nie so weit von ihrem
Hausgeist entfernt war, wie sie dachte. Offenbar aber waren all die Umwege
notwendig, um das Ziel erst kennenzulernen.
"Ich sehe, wie eure neuen Leidenschaften zaghaft sich entfalten; ich
lebe mit euch, ob sie düster oder hell sind, eure verlorenen Tage;
mein Herz genießt vervielfacht alle eure Laster! meine Seele strahlt
von allen euren Tugenden."
In knapp neunzig Minuten wird ein Mosaik gebaut, ohne daß es mit dem
Film zu Ende kommt. Von der Figurenwelt, die wir liebgewonnen haben, in
die wir endlos vordringen könnten, werden wir abgenabelt und jeder
sucht sein Kätzchen.
Die Zitate stammen aus diversen Gedichten von Charles Baudelaire und sind
bis Redaktionsschluß nur in der Phantasie des Autors dieses Artikels
mit dem besprochenen Film verbunden.
JÄNNER 97
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