Franz Kain:
Ein "unbeirrt Radikaler mit Holzknecht-Tradition"
Ferdl Frühstück
Der Schriftsteller und Publizist Franz Kain ist am 27. Oktober 1997 verstorben. Mit Franz Kain ist ein ganz großer Vertreter der Aufklärung, des antifaschistischen Widerstands, des Kommunismus und der zeitgenössischen Literatur und vor allem ein Vorbild, was ein Leben in Widerstand und Opposition zum Herrschenden betrifft, gegangen. Aus diesem Anlaß folgender Aufsatz zu einigen literarischen Stationen des Schriftstellers Franz Kain.
Franz Kain, der kommunistische Romancier und Erzähler hat nach jahrzehntelangem Boykott vor wenigen Jahren den "Adalbert-Stifter-Preis" des Landes Oberösterreich erhalten. Dieser großen Ehrung gingen einigen kleinere Würdigungen in den letzten Jahren voraus. Zuvor wurde Franz Kain jahrzehntelang von den Österreichischen Verlagen und Medien boykottiert. Ihm wurden die längst fälligen Ehrungen verweigert, weil in den Jurien immer noch jene saßen, die bereits zur Zeit des Faschismus das Sagen im Literaturbetrieb hatten. In seiner Laudatio für Franz Kain sagte Schriftstellerkollege Walter Wippersberg: "Den Ton im Literaturbetrieb gaben in dieser Zeit (nach 1945, ff), ja die gleichen Autoren an, die schon zur NS-Zeit arriviert waren. Das sei allerdings nur die halbe Wahrheit, sagte Franz Kain im Gespräch mit dem Verfasser dieses Aufsatzes. Diese Mechanismen seien ja oft viel diffiziler. So etwas wie "vorauseilender Gehorsam" sei da bei den Juroren sicherlich oft ausschlaggebend gewesen. Kain führte da das Beispiel eines Grillparzer-Zensors an, der bei der Beurteilung eines Dramas gemeint hatte, er hätte ja nichts verwerfliches gefunden, aber was ist, wenn die da oben etwas finden…", und so das Stück nicht freigegeben hatte. Der Kulturantropologe Erik Adam schrieb 1987 - anläßlich des 65. Geburtstages von Franz Kain - von einem "Skandal Franz Kain", weil Kains Werk nicht einer gebührenden Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. "Sicherlich hat es ein Autor, dessen Themen die weißen Flecken auf der literarischen Landkarte sind, dem die blinden Flecken im Gesellschaftlichen Bewußtsein entsprechen, nicht leicht." Diese Flecken seien deswegen freigeblieben, "weil die Herrschenden und ihre bewußten und unbewußten Diener nicht wünschen, daß darüber geredet wird." (Kain, "Über das Wagnis, Geschichten zu schreiben"). Adam weiter: "Und das schon gar nicht von einem, der noch dazu überzeugter Kommunist ist."
Zu schreiben hat Kain in den Gefängnissen der Austrofaschisten und der Nazis und später dann in der amerikanische Kriegsgefangenschaft begonnen. Zuerst Lyrik, später kam mehr und mehr Prosa dazu. Kain wurde 1922 in Bad Goisern geboren. bis zu seinem Tod lebte er in Linz und Bad Goisern, die geographischen Standbeine seiner Romane und Erzählungen befinden sich im Spannungsfeld dieser beiden Orte. Franz Kain besuchte die katholische Privatschule "Stephaneum" in Goisern, eine Tatsache, die sich in mehrerlei Hinsicht auf seine literarische Zukunft ausgewirkt hat. Vor allem sammelte Kain im "Stephaneum" seine ersten "Klassenerfahrungen". Die ärmeren Kinder, zu denen er gehörte, bekamen zu Mittag stets nur eine Stück Brot und eine dünne Suppe. Kain sah aber auch, wie an ihm die feinsten Speisen und Gerichte vorbeigetragen wurden, für die Kinder aus besserem Hause. "So etwas verletzt nicht nur ein kindliches Gemüt, sondern das ist auch eine erste Klassenerfahrung. Die prägend ist womöglich für ein ganzes Leben." so Kain in einem Interview mit Alfred Pittertschatscher. Als Kain später, anläßlich des Erscheinens des Romans "Der Föhn bricht ein", in dem Kains Schulzeit eine wesentliche Rolle spielt, vom Stephaneum eingeladen wurde, fragte man ihn, ob er diese soziale Erkenntnis, erst später, mit linken "verdorbenen" Augen gewonnen habe, oder ob das schon damals seine Einstellung gewesen sei. Kain antwortete: "Schon damals." Man wollte ihn daraufhin beruhigen, daß man mittlerweile nicht mehr wohlhabendere Schüler neben ärmere setzte, damit die nicht immer sähen, was die einen hätten oder nicht.
Dem Roman "Der Föhn bricht ein" wurde später in einer Rezension vorgeworfen, er würde eine rückwärts gewendete Propaganda betreiben, Kain möge weniger mit Hammer und Sichel dichten. Dabei ist gerade dieser Roman von einer großen Differenziertheit, und von einer Sichtweise, die von "langem historischen Atem getragen ist" (Adam). Sogar der monarchistisch motivierte antifaschistische Widerstand erfährt, bei aller kritischer Distanz zu restaurativen Bestrebungen, seine gebührende Beachtung.
Dieser Roman umreißt auch vorzüglich das Spannungsfeld seiner literarischen Arbeit. Themen wie Faschismus und Antifaschismus, Arbeitswelt und Natur, das Heimatliche und Bodenständige und vor allem deren dunklen Seiten, ziehen sich wie ein roter Faden durch das literarische Schaffen Franz Kains. Deswegen Kain als "Heimatdichter" zu bezeichnen wäre allerdings eine Denunziation. Denn Kain versucht, Heimat dort darzustellen, wo sie mit der Welt in Beziehung tritt. "Kain liebt den geistigen Ort, wo die Dorfgeschichte in die Weltgeschichte übergeht" formulierte es einmal Peter Kraft. Kain sieht die Vorzüge der "Provinz" darin, daß er dort die Leute, das Personal, aber auch ihre Mucken und Eigenheiten, genau kennt. Denn Kains hoher literarischer Anspruch ist es, das "soziale Unterfutter" der Provinz hervorzukehren. Bei "Heimatdichtern" ist eben der soziale Aspekt, wenn überhaupt vorhanden, aufgepappt, weil ein wirklicher Bezug dazu fehlt. Diese Schnittstellen, wo Heimat mit Welt in Beziehung tritt, aufzuspüren, führt schnell zu den dunklen Seiten der Heimat. Nämlich, daß ein Eichmann oder ein Hitler eben dieser "Heimat" entstammen, die ob ihrer roten Äpfel und ihrer "schönen" Folklore gerühmt wird. "Das Brandmal tritt dann um so deutlicher hervor, je pausbäckiger der Träger ist", umreißt Franz Kain auch seine Position, daß Provinz und Idylle meist wenig miteinander zu tun haben.
Franz Kains Erzählungen und Romane wurden im Aufbau Verlag Berlin/Weimar im Literaturland DDR verlegt. "Die Überlegenheit des (sozialistischen) Systems resultiert aus der besseren Literatur" sagte Heiner Müller, die Überlegenheit des Sozialismus resultierte auch aus dem besseren Verlagswesen, wäre noch anzufügen. Denn einen österreichischen Dichter zu verlegen, der zu den Preußen paßt wie die Faust aufs Auge, bewies Mut. Den ewigen Papiermangel dieses waldlosen Flachlandes dazubedacht, machte diese editorische Konsequenz zur kulturpolitischen Großtat. Die Verbindungen Kains zur DDR gingen jedoch weit über editorische Dinge hinaus. 1953 bis 1956 arbeitete er als Korrespondent der "Volksstimme" in Berlin, Hauptstadt der DDR. Dort traf er mit den großen Dichtern Bert Brecht, Johannes R. Becher, Anna Seghers zusammen, die ihn ermunterten, weiter seinen literarischen Weg zu gehen. Bert Brecht, der Kains ersten Roman "Romeo und Julia an der Bernauerstraße" gelesen hatte, ermunterte ihn, diesen Text zu dramatisieren. Diesem Aufenthalt in der jungen DDR wird im autobiographischen Roman Kains "Auf dem Taubenmarkt" breiter Platz eingeräumt. Franz Kain hat da nicht nur die Zuckerseite des realen Sozialismus à la DDR literarisch verewigt, sondern auch seine Gebrechlichkeiten und weniger feinen Dinge, wie Bürokratismus und Obrigkeitshörigkeit, die in der DDR, weil deutsch, besonders hartnäckig waren. Kain wurde natürlich oft über den Niedergang des realen Sozialismus befragt. Er konterte dann immer mit einem Zitat von Tschou En-lai, der einmal, über die Französische Revolution befragt, geantwortet hatte, man könne darüber noch nichts genaues sagen, man sei da historisch noch zu dicht dran.
Journalistisch war Franz Kain seit 1946 bei der kommunistischen Tageszeitung "Neue Zeit" tätig. Er hatte auch hier einen besonderen Lehrmeister, den Dichter Arnolt Bronnen. Kain schreibt im Vorwort zu Bronnens Autobiographie, Bronnen habe damals die jungen Mitarbeiter immer angehalten, über das professionelle Theater "kurz, aber verletzend" zu schreiben. Wenn ich die späteren Rezensionen Franz Kains zu Aufführungen im Theaterkeller im Ursulinenhof gelesen habe, wußte ich, daß er die "Dienstanweisungen" seines Chefs auch viel später sehr ernst genommen hatte. dafür ist Kain zwar nie geehrt worden, man hätte es aber tun sollen.
Die bürgerliche Zeitungslandschaft erging sich in sentimentaler Manier über die so späte Ehrung des Schriftstellers Kain anläßlich seines siebzigsten Geburtstages. "Schöne späte Ehrung" wurde das betitelt, was den Verdacht nahelegt, daß mit "schön" das "späte" gemeint war. Man gab sich den Anschein, als wäre alles Streben immer darauf gerichtet gewesen, Franz Kain die längst überfällige Anerkennung zukommen zu lassen. Aber noch zehn Jahre davor schrieb kaum einer dieser Schreiber nur ein Wort über das literarische Schaffen Franz Kains. In über vierzig Jahren literarischen Schaffens wurde Kain mit weniger als zwanzig Artikeln in Österreichs Zeitungen bedacht. Seit seinem Ausscheiden als Gemeinderat der Stadt Linz im Jahr 1986 waren es immerhin über 40 (Rezensionen der Bücher ausgenommen). Oft sind jene Rezensenten, die früher Franz Kain Bedeutungslosigkeit attestiert hatten, namensgleich mit jenen, die sich heute in Huldigungen ergehen. Da war er ja auch noch als einziger Kommunist im Linzer Gemeinderat vertreten und geißelte in geschliffener Rede die Dummheiten der Linzer Stadtpolitiker, die ihre Kollegen in den Lokalredaktionen stets zu verteidigen hatten.
Kains Bücher werden in jüngster Zeit auch von der "Bibliothek der Provinz" des Kleinverlegers Richard Pils herausgegeben. Er ist gewissermaßen zum Zugpferd dieses rührigen Kleinverlags geworden. Sicherlich ein mutiger verlegerischer Schritt des Pils, der gerade dabei ist, eine (ebenfalls längst überfällige) Werkausgabe Kains herauszugeben. "Der Schnee war warm und sanft" (Erzählungen 1989), "Im Brennesseldickicht" (Erzählungen 1989), "Auf dem Taubenmarkt" (Roman 1991), "Die Donau fließt vorbei" (Erzählung 1993), "Die Lawine" (Erzählungen 1994) sind bereits bei Pils erschienen. Ebenso wie "In Grodek blüht der Abendstern", der letzte Roman Franz Kains, die Geschichte des Offiziersdieners Mathias Roth, der im 1. Weltkrieg den Dichter und Militärapotheker Georg Trakl durch blutige Schlachten und verheerende Rückzuge begleitet hatte und als einziger beim Begräbnis des Dichters hinter seinem Sarg ging. Roth begleitete Trakl durch seine letzten Tage im ersten Weltkrieg, dessen Grauen Trakl nicht überstanden hatte. Kain leistet auch hier literarische Abarbeit, denn die enge Beziehung Roths zu Trakl fand in der jüngeren Literaturgeschichte kaum Beachtung
.Franz Kains Roman "Das Ende der ewigen Ruh", in drei Auflagen im Berliner Aufbau Verlag erschienen, ist ein ganz exemplarisches Buch und ein besonderes Stück Kain. Er führt in diesem Roman das illustre Personal des Gasthauses "Zur ewigen Ruh" vor, eine Lokalität, die laut Kain Symbolcharakter hat, obschon in Linz eine solche real existiert. "Es ist damit auch eine scheingemütliche Ruhe gemeint, die nicht von den alten Wunden sprechen will, um unter diesem Deckmantel die ewiggestrige, trübe Suppe warm halten zu können", schreibt Erik Adam über dieses Opus Kains. Herrin der "Ewigen Ruh" ist Frau Anna Wakolbinger, "die barocke Wirtin mit dem feinen Sinn fürs Geschäftliche", eine typische Repräsentantin des Opportunismus österreichischen Zuschnitts, die sich's gern richtet mit allen, die so ihr Lokal frequentieren. Kain verleiht diesen Figuren eine Stimme. Dieser Roman ist eine Folge von witzigen Monologen, Lebensgeschichten und Lebenslügen, beginnend mit dem heruntergekommenen Weinhändler Pecher über den Stadtrat Hagen, den ehemaligen Nazi-Gaurichter, der zum Liberalen konvertiert ist und jetzt die schützende Hand über eine Nazi-Burschenschaft hält. Den sozialdemokratischen Telegraphenmeister und Sparvereinskassier Korinek, den eine besondere Haßliebe zum kommunistischen Betriebsrat Ferina verbindet, bis hin zur "stadtbekannten Hure" Madame Wotruba, die gar nicht gerne gesehen ist in der "Ewigen Ruh", die aber so ihre Erzählungen, Schutzpatronin der verhöhnten Frauen vor Gericht war. Diese Figuren treten allesamt als Ich-Erzähler auf. Über die jeweiligen Personen kann man allerdings nur etwas in den anderen Erzählungen erfahren. Kain entwirft pittoreske Szenarien, er zeichnet ein Stadtbild mit kräftigem Pinselstrich, nicht zierlich zurückhaltend, deftig, oft mit dem Geruch der Pissoirrinne der "Ewigen Ruh". Ein Stadtroman Kains – und das ist der große Vorzug dieses Buches. Ein Buch, das die dunklen Seiten der österreichische Seele unerbittlich ausleuchtet. Besser als das die Vertreter der psychologischen Genres zu tun vermögen. Gleichzeitig aber auch ein "Heimatroman" Kains, der eben deren dunkle Seiten zu beleuchten vermag. Trotzdem ist auch hier der Bezug nach außen gegeben – zu den Südtirol-Bombenlegern und den Kärntner Ortstafelstürmern, wenn man das Beispiel des Stadtrat Hagen hernimmt. "Das Ende der ewigen Ruh" ist sicherlich, wenn auch nicht vom Umfang her, das Opus Magnum des Franz Kain.
Aber das ist nicht der ganze Kain, der Widerständler, der mit 14 ins Zuchthaus gegangen ist, wegen der Verteilung illegaler Flugblätter von den Nazis eingesperrt wurde, wegen "Vorbereitung zum Hochverrat". Die Verurteilung zu Gefängnis und Ehrverlust durch die Nazi-Justiz ist die wirkliche Ehre des Franz Kain.