"Alles Schlampen außer Mutti"
Anmerkungen von Peter Androsch zur Oper "Geschnitzte Heiligkeit -
Anton Bruckner und die Frauen"
Im Mittelpunkt stehen Anton Bruckners Seelenbefindlichkeit,
seine Empfindlichkeit, Schroffheit, Unbeholfenheit, Versuche der Annäherung,
erlittene Zurückweisung, Uneinsichtigkeit, also alles, das man Liebesleben
nennt, - Bruckners Musik ist dabei nur peripher von Interesse. Um den Brucknerschen
Gefühlskomplex wenigstens ahnen zu können, folgte ich von Anfang
an begeistert Kislingers Kunstgriff, Anton Bruckner in die Gegenwart "beamen"
zu lassen, durch eine Zeitmaschine ins Jetzt zu katapultieren. Klarerweise
war der Verzicht auf "wahre" Begebenheiten, auf überlieferte
Ereignisse aus Bruckners Leben somit die Folge, - sie sind in diesem Zusammenhang
auch unwichtig. Dadurch konnte die Kunstfigur Bruckner extremen Einflüssen
ausgesetzt werden, um sein Agieren und seine Reaktionen exemplarisch deutlich
zu machen. In eine andere Zeit geworfen, ist er umso mehr auf sich selbst
zurückgeworfen. Das Ambiente der Jetztzeit, das Bruckner in diesem
Stück umgibt, verdeutlicht seine Seelengeographie. Aus demselben Grund
verzichte ich gänzlich auf Rückgriffe auf musikalisches Material
von Bruckner selbst oder wenigstens aus seiner Zeit. Ich setzte Bruckner
selbst in das Ambiente, daß sich durch meine Musik ergibt. Hier hat
er zu stottern, zu schwitzen, zu schreien und zu träumen und zu zählen.
Hier brodelt, flackert und schillert ein erstaunliches Aggressionspotential
unter der mühsam geflickten Decke katholischer Unterwürfigkeit.
Das Thema der Oper ist durch drei Zitate einzugrenzen: "Es gibt
keine schlimmere Bürde als die Hoffnung, glücklich zu werden"
heißt der erste Satz von Carlos Fuentes' Buch "Diana oder Die
einsame Jägerin" (1). Gerade dieser Bürde unterwarf sich
Bruckner mit schon fast verrückter Beharrlichkeit. Der ersehnte Glückszustand
konnte nur durch eine Frau, eine brave Ehefrau erreicht werden, deren Rolle
klar vorherbestimmt war: "Ihre Aufgabe ist es, die Einsamkeit zu beenden
und die Ängste wegzunehmen, eine Aufgabe also, die zuvor die Mutter
erfüllte. Die schlechte Frau, die Hure, ist nur da, damit eine sexuelle
Befriedigung stattfinden kann." (2)
Das führt zu Bruckners ausgeprägter Beschäftigung mit dem
Stellen von Heiratsanträgen und weiter zu Kurt Krenn : "Erotik
ist der fließende Übergang von der Anständigkeit zur Unanständigkeit"
definiert Krenn in der ihm eigenen Unnachahmlichkeit mit Worten, die Bruckner
sicherlich verstanden hätte. Sich das zuzugestehen, hätte den
"katholizismusbesessenen, religiös-pubertären" (3) Bruckner
jedoch um seine tiefste Sehnsuch gebracht: die heratswürdige Maria
Immaculata. Der damit grundgelegte Antagonismus ist unlösbar. Also
konnte sich Bruckner dieser Erotik zeit seines Lebens nicht hingeben. Denn
damit wäre ein Grundsatz seines Lebens zusammengekracht, den Mike Tyson
so formuliert: "Alles Schlampen außer Mutti" (4) faß´te
der Boxweltmeister im Schwergewicht sein Verhältnis zu Frauen kurz
und bündig zusammen. Diese drei Statements von Fuentes, Krenn und Tyson
bilden die Eckpunkte. Und daß wir bei der Suche nach Anhaltspunkten
für die Ursachen wieder bei "Mutti" landen, ist klar: "
Im Falle Bruckners fixiert sich schon im ersten Stadium seines psychosexuellen
Lebens das Bild der melancholischen Mutter, für welche, infolge ihrer
Frömmigkeit, der Keuschheeitsgedanke maßgebend war." (5)
Daß Bruckner diese Erotik selbstverständlich immer "plagte"
- bei ihm scheint dies das richtige Wort zu sein - zeigen schon die rührend
ungelenk gezeichneten Damenstöckelschuhe auf dem Umschlagblatt seines
Übungsheftes aus der St. Florianer Schulzeit, Äußerungen
natürlich aufkeimender Pubertätsregungen. Daß sein Lebensweg
später gekennzeichnet war von einer umfassenden Unfähigkeit, sich
dem anderen Geschlecht zu nähern, ist hier noch nicht abzulesen.
diese Unfähigkeit manifestierte sich jedoch früh und hat etwa
in den Briefen an Rudolf Weinwurm nachlesbaren Ausdruck gefunden. 1866,
also mit 42 Jahren, bekniet er Weinwurm (6) um die Auskundschaftung der
Lebensumstände eines 18-jährigen Mädchens aus Steyr. Wie
unzählige andere Male projiziert er in ein (minderjähriges) Mädchen
die Maria Immaculata. Offensichtlich geht es ihm nicht um die Erreichung
eines anderen Menschen, mit welchem er sich auseinanderzusetzen hätte,
es geht ihm um ein Wesen, das möglichst wenig Unruhe in sein Leben
bring, - selbst anspruchslos - seine Einsamkeit vertreibt, ihn gleichzeitig
nicht dem gefürchteten Unanständigen aussetzt. Gleichzeitig läßt
er die Finanzverhältnisse des Mädchens prüfen. Er will sich
quasi bestätigen lassen, daß sie eine gute Parie ist. Ob die
Vorwürfe, Bruckner hätte als Lehrer sich Schülerinnen gegnüber
nicht "anständig" benommen, stimmen oder nicht, ist für
die Eingrenzung seines Seelenzustandes für uns unerheblich. Ebenso
unerheblich ist, ob Bruckner der Vater von Bertha Barghesi war oder nicht,
ob in diesem Steit also Renate Bronnen oder Beatrix Weißgärber
recht hat: Daß diese Fragen Ausgangspunkt ernsthafter Auseinandersetzung
sein können und nicht vor allem pragmatisch beurteilt werden, is jedoch
nicht unerheblich. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Brucknerpflege,
welche im allgemeinen mehr der Hege einer Ikone ähnelt. Wahrscheinlich
erzählt John Fowles in "Der Sammler" (7) mehr über ein
Seelenleben wie das Brucknersche als so manche Veröffentlichung aus
dem Bereich der institutionalisierten Bruckner-Forschung.
Somit ist Bruckner für mich ein Nicht-zu-Ende-Geborener. Auch
wenn Klaus Theweleit in "Männerphantasien" (8) diesen Begriff
in einem völlig anderen Zusammenhang entwickelt, scheint er mir wie
geschaffen für Bruckner: Pathologische Abwehr echter oder vermeintlicher
- meist sexueller - Bedrohung, "Panzerung" des Körpers, um
die Seele zu schützen. Phänomene zeigen sich, die die Psychoanalyse
als Symptome einer Störung in der "analen" Entwicklungsstufe
bezeichnen könnte.
Die innere Bedrohung, die unterbewußt und somit "ewig" ist,
nach außen legen, umsteigen in andere Wahrnehmungsformen - Zählzwang,
Zeugnis- und Titelsucht... - er wird "verrückt". Er rückt
aus seinem Körper aus. Er findet Schutz in Zwangshandlungen.
Der Nicht-zu-Ende-Geborene sucht als Ersatz für seine fehlende
innere Ordnung äußere Ordnungen: "Sie sagen im Grunde über
sich selbst nicht, ich bin der und der Mensch, sondern ich bin der und der
titel, ich bin das und das Zeugnis. Und sie pflegen Umgang nicht mit dem
und dem Menschen, sondern nur mit dem und dem Zeugnis und dem und dem Titel."
(9)
1 Carlos Fuentes, Diana oder Die einsame Jägerin, Hamburg 1996 -back-
2 Eveline A. Nikkels, Dokumente zur Gewandhausgeschichte 7, Leipzig 1988-back-
3 Thomas Bernhard, Alte Meister, Frankfurt 1985-back-
4 DIE ZEIT magazin, Nr. 12, Hamburg 1996-back-
5 Eveline A. Nikkels, s. o-back-.
6 Anton Bruckner, Gesammelte Briefe, Regensburg 1924, 30. 6. 1866-back-
7 John Fowles, Der Sammler, Hamburg 1988-back-
8 Klaus Theweleit, Männerphantasien 2 Bde, Basel/Frankfurt 1977/78-back-
9 Thomas Bernhard, Auslöschung, Frankfurt 1986-back-
Geschnitzte Heiligkeit
Anton Bruckner und die Frauen
Eine Oper von Peter Androsch
Libretto: Harald Kislinger
Inszenierung: Harald Gebhartl
Premiere: Dienstag 17. September 1996
19.30 Uhr, Posthof
Eine Produktion von Posthof, Theater Phönix und Brucknerhaus zum Brucknerjahr,
im Rahmen des Internationalen Brucknerfestes