Es gibt ja eine Hand die andere...


Auszüge aus dem Gespräch, das ich mit dem scheidenden/gleichzeitig letzten Direktor der Bundesbahndirektion Linz, Hofrat Helmuth Aflenzer, am 9. Mai ´96 in dessen Büro führte:

hillinger: Was mir aufgefallen ist bei dieser Auflistung, das ist dieser Stolz über einen um 9% reduzierten Personalstand; die Leute lösen sich ja nicht in Luft auf, d.h. im Grund genommen ist es ja nur eine Verlagerung des Problems, wenn jetzt die Bundesbahnen Leute freisetzen....

Aflenzer: Wir haben sie nicht freigesetzt, sondern das ist ein natürlicher Abgang. Freigesetzt haben wir keinen einzigen Mitarbeiter, sondern umgeschichtet, woanders verwendet und viele sind in Pension gegangen.
Aber diese Lücke, die dadurch entsteht, daß Posten nicht mehr nachbesetzt werden -freigesetzt war dann wahrscheinlich das falsche Wort von mir- die wirkt sich ja dann trotzdem auf den Arbeitsmarkt aus....
...das ist richtig, selbstverständlich. Naja, das wird sich in Zukunft vermehrt auswirken, weil wir im nächsten Jahr niemand aufnehmen und heuer auch nicht, mit wenigen Ausnahmen halt.

Ich habe mir da einen Satz angestrichen, der heißt "In 10 Jahren soll jeder einzelne Mitarbeiter um 50% mehr Wertschöpfung erzielen als heute"....
Das ist ein hochgestecktes Ziel der Unternehmensleitung, und wir werden ja sehen, ob es erreicht werden kann. Da orientiert man sich an anderen europäischen Bahnen, z.B. Schweizer Bundesbahn oder Deutsche Bundesbahn, die in der Produktivität in Teilbereichen schon weitaus besser sind wie wir, und dort wollen wir auch hinkommen....
...wobei der Vorteil der Deutschen ist, daß sie nicht so viele Gebirgsbahnen haben....
...das ist richtig, ja, die haben eine andere Infrastruktur. In der Regel kann man die Bahnen nicht untereinander vergleichen; man kann nur ein paar Kennziffern miteinander vergleichen, aber ein genereller Vergleich ist nicht seriös.
Die Deutschen Bundesbahnen sind ja jetzt praktisch auch ein privates Unternehmen....
...eine Aktiengesellschaft, ja....
...die entschuldet wurde. Warum war das eigentlich bei uns in Österreich nicht möglich?
Naja, weil meiner Meinung nach der Bund nicht die erforderlichen Mittel gehabt hat, um die ÖBB zu entschulden. Die 16 Milliarden, die notwendig gewesen wären, um die Bahn zu entschulden, die waren halt momentan nicht verfügbar. Daher müssen sie im eigenen Betrieb, durch Grundverkäufe usw. hereingebracht werden in den nächsten Jahren....
...aber das stellt doch irgendwie eine ziemliche Belastung....
...richtig, ja. Das belastet uns auch im Zinsendienst enorm, und das muß alles verdient werden, daher auch die Restriktionen im Personalbereich und und und. Es gibt ja eine Hand die andere.

*

Eine Überlegung von mir war nämlich die, wenn jemand ein Stück außerhalb von Linz wohnt, sagen wir, irgendwo in Oftering draußen -also gar nicht in einer vollkommen abgelegenen Gegend- dann ist das zum Großteil so, daß diese Leute, auch wenn sie wirklich aufs Auto verzichten wollen, wenn sie am Abend fortgehen möchten oder was, de facto darauf angewiesen sind, ein Auto zu benützen, weil es keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr gibt1) . Das betrifft nicht nur die Österreichischen Bundesbahnen....
...Tagesrandverbindungen, ja, das ist bei den Bussen genau so....
...und ich habe in diesem Papier 2) gefunden, daß gerade Tagesrand- und Wochenendverbindungen bzw. Verbindungen untertags ausgedünnt werden. Das hat mich gestört, weil ich mir dachte, im Grund genommen ist die ganze Geschichte auf den Berufsverkehr zugeschnitten und auf den Verkehr in der mittleren Distanz 3), und ich vermisse da irgendwie einfach Ansätze einer Utopie, dem Auto doch nicht soviel....
...Vorrang einzuräumen....
...Vorrang einzuräumen und soviel Platz zu überlassen....
...naja, seit das neue Bundesbahngesetz in Kraft ist, das geht, glaube ich, auch aus dem Papier hervor, sind wir im Absatzbereich gezwungen und angehalten, positiv zu bilanzieren. Der Personenverkehr an sich ist bisher ein Verlustträger gewesen im Ausmaß von 3 Mrd. S pro Jahr und da muß es eine Besserung geben. Da gehört der Wochenendverkehr, der Tagesrandverkehr usw. dazu. Dort, wo keine entsprechende Frequenz 4) ist, werden wir nicht nur im neuen Fahrplan, sondern auch in künftigen Fahrplanperioden ausdünnen, dort, wo ein Bedarf besteht, wo wir feststellen, daß Angebote angenommen werden, werden wir sicher Verkehre zusätzlich aufziehen.

Ich glaube, es gibt eine ganze Reihe von Beispielen, wo wir den Verkehr, den wir mit dem NAT 91 aufgezogen haben, unverändert gelassen haben. Zum Beispiel gerade auf Regionalbahnen: Strecke Wels-Grünau haben wir praktisch nichts angerührt, nur Zeiten verändert, weil auf der Westbahn der Takt geändert wurde. Auf der Mühlkreisbahn haben wir das Verkehrsangebot unverändert gelassen, wir trachten sogar, in kommenden Fahrplanperioden dort Tagesrandverbindungen zu schaffen, aber auf manchen Regionalbahnen, wo wirklich die Inanspruchnahme so gering ist, z.B. auf der Strecke Wels-Aschach, haben wir den Verkehr ab 2. Juni stark eingeschränkt.

Was heißt eigentlich "schwach frequentiert" in der Praxis?
Schwach frequentiert in der Praxis, das sind Frequenzen unter 10 pro Zug. Wenn 25 oder 30 drinnen sind in einem 5047, ist das schon super. Wenn aber die Fahrgastfrequenz unter 10 oder gar unter 5 absinkt, dann wird es, es kommt auch aufs Platzangebot an und darauf, was mich der Zug kostet. Ein Zug mit drei Waggons, mit Lokführer, Schaffner und womöglich einem....
...und drei Leute drinnen....
...mit drei Fahrgästen, da wird`s eng. Bei 5047, wenn 10 Reisende drinnen sitzen, in einem Abschnitt der Strecke oder dem Ende zu, ist, glaube ich, nichts zu sagen. Es kommt also auch auf die Kosten an. Und auf den Regionalbahnen haben wir halt auch bei den Personenzügen relativ hohe Kosten.

*

Wie schaut das jetzt eigentlich mit der Schnellbahn nach Pichling aus?
Naja, die Schnellbahn nach Pichling wird dann einmal kommen, wenn da draußen ein echter Bedarf ist, d.h. ein Siedlungsgebiet entsteht, wo tatsächlich zu erwarten ist, daß wer fährt und wenn der drei- oder viergleisige Ausbau der Westbahn im Bereich Valentin-Linz Wirklichkeit wird. Nach Maßgabe der Lücken, die wir derzeit im Fahrplan noch offen haben, und das sind nicht mehr recht viele auf der Strecke, weil wir immerhin in dem Bereich zwischen 260 und 280 Züge pro 24 Std. haben, bleibt halt nicht mehr recht viel Platz für zusätzliche Züge. Es ist jedoch beabsichtigt, und die Planungen dafür sind im Gange, die Strecke Valentin-Linz auszubauen, und wenn das der Fall ist, werden wir sicher -bis dorthin ist das Siedlungsgebiet auch schon ein bißchen griffiger und gewachsen- einen Nahverkehr aufziehen.
Zur Zeit noch habe ich im Streckenabschnitt Valentin-Linz einen 2-Stunden-Takt der Regionalzüge und einen 2-Stunden-Takt der Eilzüge; ich habe mich gefragt, wieso jetzt mit dem neuen Fahrplan Züge wegfallen sollen, die ein derart dicht besiedeltes Einzugsgebiet von Linz betreffen.
Da sind halt wahrscheinlich Züge dabei, die bisher schlecht in Anspruch genommen wurden, anders kann ich mir das nicht vorstellen.

*

...bisher haben wir den ersten IC, IC 862 5) um 5.34 gehabt....
...ja, da fährt jetzt, nach....
...künftig....
...Ihren Angaben um 5.14....
...künftig haben wir den Eilzug 1542 6) in der Lage, der etwa um die selbe Zeit 7) wie bisher der IC in Salzburg ankommt, um 6.45, der in verschiedenen Verkehrsstellen hält und dadurch vielleicht auch Reisende aufnimmt, die bisher keine Frühverbindung nach Salzburg* gehabt haben, weil der IC durchgefahren ist.
Hinsichtlich dieser Maßnahme hat es von seiten der ÖBB geheißen, der bisherige IC wäre nicht so gut ausgelastet gewesen, während die Pendler von einer guten Auslastung gesprochen haben und sich im übrigen durch die angesprochene Änderung etwas gepflanzt fühlten....
...ich bin schon sehr oft mit diesem Zug gefahren, der ist also nicht überwältigend besetzt, da sind immer die selben Leute drinnen, in erster Linie Berufsfahrer nach Salzburg, die von Linz nach Salzburg pendeln. Durch die angesprochene Fahrplanmaßnahme bedingt, fährt einerseits in der etwaigen Lage -ein wenig früher von Linz weg- ein Eilzug, der in Salzburg um die selbe Zeit ankommt und andererseits in der Zwischenzeit überall stehenbleibt. Naja, der bleibt in Steindorf stehen, bleibt in Neumarkt-Köstendorf stehen, in Seekirchen, Frankenmarkt, Vöcklamarkt und Vöcklabruck stehen. Da war ja bisher eine Lücke*, und die hat man jetzt probiert aufzufüllen; was nicht heißt, daß das ewig so bleiben soll, sondern, wenn sich herausstellt, daß es gar nicht funktioniert, dann muß man das in einer anderen Fahrplanperiode wieder reparieren.

*Nachbemerkung: Von für unser Beispiel jedoch tatsächlich unerheblichen, noch früher liegenden Verbindungen ab Attnang abgesehen, stimmt das ganz einfach nicht. Auch bisher schon wurde zwischen Attnang und Salzburg in nahezu derselben Lage (3-4 Min. später) ein Eilzug -E 1562 8) - mit genau den Halten, die Herr Aflenzer aufgezählt hat, geführt. Zwischen Linz und Attnang wird auch der künftige IC-Ersatz Eilzug 1542 nur in Wels stehenbleiben; durch die frühere Abfahrtszeit des Eilzuges entfällt die bislang in Attnang-Puchheim vorhandene Anschlußmöglichkeit für Reisende aus dem Bereich Gunskirchen-Schwanenstadt.

*

Vor kurzem ist mir im Bereich der Selzthaler Strecke sowie zwischen Steyr und Valentin das Vorhandensein sehr vieler Langsamfahrstellen aufgefallen, die nichts mit konkreten Baumaßnahmen zu tun haben. Eine dieser Langsamfahrstellen, Einfahrweiche Ernsthofen, von Steyr kommend, existiert bereits seit einigen Jahren, und solche Beispiele gibt es fortlaufend in einer bemerkenswerten Größenordnung. Im Sinne einer wirtschaftlichen Abwicklung des Fahrbetriebs kann es doch nicht gut sein, wenn Langsamfahrstellen zur Dauereinrichtung werden oder überhand nehmen, weil ja dadurch auch ein ziemlicher Verschleiß am rollenden Material bewirkt wird....
Stimmt, aber das sind Schäden am Oberbau und Schäden an der Strecke, die wir aus finanziellen Gründen nicht so schnell reparieren können....
...heißt das, daß zuwenig Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, um die Beseitigung der Langsamfahrstellen voranzutreiben?
Nein, daran liegt es nicht, sondern es fehlen die finanziellen Mittel, um das erforderliche Material anzuschaffen, es müssen ja neue Schienen her, neue Schwellen her, und es müssen die entsprechenden Arbeitsleistungen berücksichtigt werden. Wir können Reparaturen am Gleiskörper nur nach Maßgabe der vorhandenen Mittel machen, es gibt jedes Jahr ein Etat für Erhaltung der Strecken im ganzen ÖBB-Bereich und wenn man da einmal zu weit in Rückstand kommt, dann vermehren sich halt die Langsamfahrstellen; das hängt mit Baustellen gar nicht zusammen.

Fußnoten:
1) Interessanterweise haben wir in unserem Gespräch, trotz einiger Berührungspunkte (wie Puchenau), das Thema "Anruf-Sammel-Taxi" vollends überrollt --- back
2) "Der Zukunftsfahrplan", ÖBB-Presseunterlage/April 1996 --- back
3) Hier im Sinne größerer Entfernungen innerhalb Österreichs gebraucht, z.B. Wien-Salzburg --- back
4) Diese Frequenz wird über einen längeren Zeitraum hinweg, also nicht nur während einer Fahrplanperiode, ermittelt --- back
5) Täglich --- back
6) An Werktagen --- back
7) Exakt um 10 Minuten früher --- back
8) An Werktagen --- back


Außerdem zum Thema Öffis: IC "SALZBURGER SPORTWELT-AMADÉ"

JUNI 96

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