Elfriede Jelinek

bricht mit Österreich


"Die Wahrheit, daß sie nichts sind als Geschäft, verwenden sie als Ideologie, die den Schund legitimieren soll, den sie vorsätzlich herstellen."
(Adorno/Horkheimer)

Vor kurzem erklärte die Schriftstellerin Elfriede Jelinek, daß ihre Theaterstücke künftig nur außerhalb Österreichs zu sehen sein werden. Ihr neues Stück "Stecken, Stab und Stingl", das die in "Totenauberg" begonnene Verknüpfung großer historischer Linien mit der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung am Beispiel Österreich fortführt und die Briefbombenserie samt den Morden an vier Roma im burgenländischen Oberwart in einen Zusammenhang mit der österreichischen Zeitgeschichte stellt, wird in Hamburg, nicht in Wien uraufgeführt. Diese Entscheidung, die keinen Rückzug von Österreich bedeutet, sondern einen Bruch, begründet Jelinek mit dem Haß, der sich längst aus den Feuilletons in die Politik und den Alltag vorgearbeitet hat und sich nicht in antisemitischen Rempeleien erschöpft. Die Hatz auf "nestbeschmutzende" Künstler trifft in Österreich kaum auf Widerstand; dieselben staatlichen Würdenträger, die Salman Rushdie gegen den iranischen Staatsterror verteidigen, finden angesichts verleumderischer Plakatserien der FPÖ nur beschwichtigende Worte. Über ihren Staat lassen die Österreicher nichts kommen. Keine Kritik, kein Zweifel darf ihm eingeschrieben werden, denn dieser Staat ist nichts als die Monstranz einer Gesellschaft, die unfähig ist, die weltlichen Geschäfte zu führen, und deren Geschäftsleute sich devot gegenseitige Geschäftstüchtigkeit attestieren, wohl wissend (und sich an diesem Wissen heimlich weidend), daß der Unternehmer des Jahres bald schon als Konkursfall des Jahres verhöhnt werden darf. Der Kunsthaß der Österreicher speist sich nämlich nicht nur aus deren Geschichte und den damit einhergehenden Verwerfungen, sondern ebensosehr auch aus der Tatsache, daß die österreichischen Bürger auf keinem Gebiet soviel Unfähigkeit entfalten wie im Wirtschafts- und Geschäftsleben, dies aber durch einen hoch dotierten Kulturbetrieb zu kompensieren trachten. Österreichische Banken stopften dem insolventen Baukonzern Maculan, der sich als Kriegsgewinnler der deutschen Vereinigung versuchte, indem er die halbe ostdeutsche Bauwirtschaft aufkaufte und in Rußland Wohnsiedlungen für Sowjetoffiziere errichtete, noch mit Milliardenkrediten, als längst offensichtlich war, daß der Konzern vor dem Zusammenbruch stand. Ähnlich verhielt sich die sozialdemokratische "Bank für Arbeit und Wirtschaft" im Falle der "Konsum"-Pleite. Österreichische Geschäftstüchtigkeit ist zu einem gefürchteten Exportartikel geworden: Der Justizapparat der EU ist seit Österreichs Beitritt mit Klagen gegen wettbewerbswidrige Ausschreibungen (Regierungsviertel St. Pölten), illegale Preisabsprachen (Papierindustrie), Drogengelder (anonyme Konten) und Insidergeschäfte an der Wiener Börse blockiert. In dem Land der erfolglosen Geschäftemacher, in dem jeder Kronenzeitung-Leser sich als ideeller Gesamtgeschäftsführer des Betriebes Österreich wähnt, stellt die handvoll geschäftlich erfolreicher Schriftsteller eine unerträgliche Provokation dar. Nichts nimmt die österreichische Geschäftswelt mehr von sich ein, als der behauptete Bankrott der Kunst, der ihr umso glaubwürdiger erscheint, als sie sich schon vor langem der Kultur verschrieben hat. Es ist kein Zufall, daß hierzulande der Beruf des Kulturvermittlers höchstes Ansehen genießt. Der besonders gerissene Geschäftemacher sein, der seine Tage damit verbringt, darüber nachzusinnen, mit welchen Finten er seinen Marktwert noch steigern könnte.

Daß Künstler einer Spezialistenarbeit nachgehen, die die Wirklichkeit jenseits von Osterfestspielen und den Wochen der schrägen Blasmusik zum Gegenstand hat, und zwar in Gestalt der bestimmten Negation einer bestimmten Gesellschaft, wird nicht der gesellschaftlichen Arbeitsteilung gutgeschrieben, sondern als Geschäftsstörung angesehen. Die ideellen Gesamtgeschäftsführer der Republik Österreich haben daher in Kunstfragen eine unbestechliche Meinung. Es tut dabei nichts zur Sache, ob sie jemals ein Theaterstück von Elfriede Jelinek oder Peter Turrini gesehen, einen Text von Thomas Bernhard oder Michael Scharang gelesen haben; sie glauben a priori zu wissen, daß Künstler zu allem, nur nicht zur Kunst fähige, kulturlose Gesellen sind. Aus diesem Grund attackieren sie nie das konkrete Kunstwerk, sondern immer dessen Produzenten. Nicht das Werk, dessen Hervorbringer soll ausgelöscht werden. Der totschlägerische Satz von der Gesellschaftskritik als Geschäftslokal ist stets zur Hand, wenn es gilt, die Staatskultur gegen die asoziale Kunst in Schutz zu nehmen. Hinter dieser Haltung verbirgt sich aber nur die böse Ahnung, daß manche Künstler auch die besseren Citoyens sind. Diese Schmach kann und will die bürgerliche Klasse samt ihrem kleinbürgerlichem Nachtrab nicht hinnehmen, nicht in diesem Staat, der selber auf einer Geschäftslüge, jener vom antifaschistischen Opfer, gründet. In der Tat sollte man einmal das Experiment wagen, die Geschichte der Zweiten Republik als Geschichte versuchter Betrugsgeschäfte zu lesen. Österreich als Treffpunkt der Welt - in Wirklichkeit wollten und wollen die Österreicher von der Welt einzig deren Devisen; Österreich als Mittler zwischen Ost und West - tatsächlich unternahm die österreichische Außenpolitik alles, um die eine gegen die andere Seite auszuspielen (von der aktiven Kriegspolitik auf dem Balkan gar nicht zu reden); die immerwährende Neutralität - neutral war Österreich in der jüngeren Geschichte nur einmal, im ersten Golfkrieg, und zwar als Kanonenlieferant sowohl des Iran als auch des Irak; die gutnachbarlichen Beziehungen zu Jugoslawien - die hundertausendfache Ausbeutung sogenannter Gastarbeiter, die bei der ersten Eintrübung der Konjunktur aller Rechte verlustig gingen; die kulturelle Weltoffenheit - ein Evergreen unter den Diplomatenwitzen im New Yorker UN-Hauptquartier.

Doch in den neunziger Jahren ist die Welt der österreichischen Geschäftstüchtigkeit gegenüber auf Distanz gegangen, und sie bekommt dafür in den heimischen Medien die Rechnung präsentiert: Die EU - ein Luftgeschäft; die UNO - ein brotloses Geschäft; das Niederreißen des Eisernen Vorhangs - eine Geschäftsauflösung; die Anerkennung Kroatiens und Bosniens, überhaupt der ganze Balkankrieg - bisher ein einziges Verlustgeschäft. Der Groll auf die sich häufenden Geschäftskatastrophen war mit der Zeit so groß geworden, daß er sich jüngst in einem sozialen Keulenschlag namens Sparpaket entlud, dessen einzige Logik im Haß der Regierenden auf die Regierten besteht.
Die kulturbeflissenen Defraudanten, die sich jedem an den Hals schmeißen, der nach Bankrott riecht, vermögen Kunst nur als unsauberes Geschäft, als Betrug, zu begreifen. Das Geschäft mit der Kunst verwechseln sie mit Geschäftskunst, die Geschäftskultur mit dem Kulturgeschäft. Daß auf dem Weg vom Geschäft zur Kultur die Kunst und ihre Produzenten auf der Strecke bleiben, ist von ihnen ebensosehr kalkuliert wie erwünscht.

Elfriede Jelinek hat daraus die Konsequenzen gezogen. Sie überläßt die österreichischen Kulturträger einem traurigen Schicksal: ihren Geschäften.
Erwin Riess


MAI 96
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