n'altes radio

Eugenie Kain

Mein ganz privates Radio

I
Fernsehen sind wir noch zum Nachbarn gegangen, aber das Radio war fester Bestandteil im Tagesablauf. In der Früh wurde der neue Sender Ö3 nicht angenommen. Zumindest während der Volksschulzeit gab es zum Frühstück keine Wecker - Scherze sondern den Wasserstand der Donau. "Regensburg Schwabelweis ..." Zu Eva Maria Kaisers "Gut aufgelegt" war meistens das Abendessen fertig. Viele Samstagnachmittage verbrachte ich mit der Großmutter und dem Radio. Wir tranken Zitronentee, aßen belegte Brote und lauschten dem Hörspiel. Die Stimmen und Geräusche aus dem Kastl -es war aus dunklem Holz mit Stoffbespannung, elfenbeinfarbenen Tasten und einem grünleuchtenden Auge - ließen im dämmrigen Zimmer Räume und Landschaften erstehen, Abgründe (menschlicher Seelen) taten sich auf oder auch nicht, und wir saßen unmittelbar davor.
Es muß in den frühen Siebziger Jahren gewesen sein, als wir einen Bauern im Mühlviertel besuchten, der immer eine Sau für uns mitfütterte. Der Bauer war erzkonservativ und seine Schweine dementsprechend fett, was gut für den Speck war. Dem Elektrischen konnte der Bauer nichts abgewinnen. Strom kam ihm nicht ins Haus. Seine Familie fand das Leben mit der Petroleumlampe annehmlich. Während die Nachbarn unter der Glühbirne schon im Stall schuften mußten, konnten die Stromlosen noch im Bett liegen bleiben. Die Arbeit begann erst, wenn es "liacht" wurde. An diesem Tag gab es eine Errungenschaft vorzuzeigen. Die Tochter, ungefähr 17, präsentierte ein tragbares, batteriebetriebenes Radio. "So viele interessante Sendungen", sagte sie, und der Alte nickte stolz, "de waite Wöd hamma do". Die Tochter stellte das Radio auf den Tisch, drehte am Knopf, eine Tuba bahnte sich hopsend den Weg in die Stube. Der Alte klopfte den Polkatakt auf die Tischplatte. "A englische Musi haums a", strahlte die Tochter.
Zehn Jahre später im Salzkammergut bei einem anderen (Nebenerwerbs-) Bauern: Brigitte Xander reißt die Sommerfrischler aus dem Schlaf. Gegenüber im Kuhstall hat die Arbeit begonnen. Das Radio hängt an einem Nagel neben der Stalltür und kracht und dudelt. Die Stimme quakt vom Morgenkaffee und vom Morgenstau und die Jungbäurin schaufelt haßerfüllt den Kuhdreck auf den Misthaufen.

II
Mehr als 5 Jahre lang hatte ich nicht einmal ein Küchenradio. Aber irgendwie war die monogame Beziehung zur Anlage nicht das Wahre. Es ist ein Unterschied, ob man sich eine Platte auflegt, oder ob jemand Musik auf unsichtbaren Wellen ins Zimmer schickt. Als ich aus der radiolosen Zeit heraus war, war die Musikbox längst auf einem anderen Sendeplatz und Michael Schrott nicht mehr dabei. frau mit sehr altem radioInzwischen gibt es Radios mit Speicherplätzen. Der Sender ist schnell gewechselt und das persönliche Radioprogramm zusammengestellt. Die meiste Zeit verbringe ich auf Ö1, auf FM4 vor allem, wenn Herr Ostermayer dort ist, auf Ö2 nur zur Kultur- und zur "Offenen Radio"- Zeit. Als Nachtarbeiterin kommt es mir sehr entgegen, daß auf Ö1 ab Mitternacht die Nachrichten nicht ausgestrahlt werden, wenn 60 Minuten um sind, sondern wenn der Schubert etc zu Ende ist. So ist es im Radio auch einmal 4 Uhr 23, was der Musik und der Zeit etwas von ihrer wahren Dimension zurückgibt und besser zum Türklappern der Zeitungsausträgerin paßt und zum ersten Bus, der bald vorbeidonnern wird.
Probleme gibt es in der Früh. Als langsamer Mensch brauch ich zum Wachwerden etwas Strukturiertes. Den Ö3-Wecker halte ich nicht aus. Bleibt nach dem Morgenjournal um 8 nur Ö2 mit "Viva", dem "Frauenmagazin".Dort gibt es um 8h30 Werbung und Landesnachrichten als Zeichen zum Aufbruch. Weil das Frauenmagazin hin und wieder informative Beiträge bringt, toleriert man den Kräuterpfarrer Weidinger. Aber die Musik... Mir ist bewußt, daß ich Haßgefühle auslöse, wenn ich in der Früh auf "Viva" umschalte, wo dann alternierend Peter Cornelius, Stefanie Werger, Reinhard May und Barbara Stromberger singen, oder noch schlimmer, Panflöten und Trompeten zum Instrumentalsolo ansetzen. Es gibt den festen Vorsatz, am nächsten Tag endgültig auf Ö1 zu bleiben und die Eieruhr auf halb neun zu stellen. Warum ich dann doch wieder auf Viva umschalte? Weil ich mit Klassik nicht aus dem Bett komme, weil mich Stille in der Früh nervös macht, weil "Viva" das einzige Frauenmagazin im Radio ist, und ich nicht glauben will, daß es noch keiner Radiomacherin aufgefallen ist, daß sich Frauenthemen im weitesten Sinn mit so einer Schrottmusik nie und nimmer zu einer Frauensendung zusammenschustern lassen.

III
Das Radio läßt die Freiheit, sich zu rühren, die Bilder zu den Klängen, Tönen und Stimmen selbst zu schaffen, daneben noch etwas anderes zu tun. Im Vergleich zu anderen Medien ist die Produktion technisch relativ unkompliziert und billig, der Schritt vom Konsumieren zum Produzieren bei Beachtung einiger Grundsätze machbar. Das Radio ist ein sehr demokratisches, soziales, dem aufrechten Gang des Menschen entgegenkommendes Medium - rein theoretisch. Praktisch gibt es den ORF, ein paar schon und viele noch nicht zugelassene Kommerzprivatradios, hinter denen die Mediaprint und regionale Platzhirschenzeitungen stehen.
Die Innenpolitik - Pressekonferenzen und die Berichterstattung vom Ministerrat waren nicht nur wegen der allgegenwärtigen Unehrlichkeit und gegenseitigen Arschkriecherei so widerlich, sondern auch wegen des vom ORF aufgezwungenen Rituals. Die KollegInnen vom ORF haben es am eiligsten, deshalb dürfen sie immer zuerst ihre Fragen stellen. Öde Fragen sind es meistens, weil die FragestellerInnen einen öffentlich - rechtlichen Auftrag haben. Dafür schauen die PolitikerInnen, daß sie einen ORF - tauglichen Sager rüberbringen. Dann rauschen die Radio- und Fernsehleute ab. Die Politikberichterstattung hat ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Wo Politik nur mehr vorgetäuscht wird, braucht es auch fürs Berichten andere Kriterien.
Wer aber erlaubt es den regionalen KulturberichterstatterInnen, die Leute permanent zu belästigen? Sie passen einen ab nach Premieren, Lesungen und Vernissagen, stoßen einem das Mikrofon unter die Nase, stellen im Zeitraffertempo idiotische Fragen, auf die sie schnelle und in IHR Konzept passende Antworten haben wollen. Mit dem Mikrofon sind sie ganz, ganz wichtig. Sie tragen es vor sich her wie Photographen ihre Objektive. Die Assoziation zum verlängerten Schwanz mag da schon zutreffen. Jedenfalls gibt es eine eiserne Regel: Laß Dir nie das Mikrofon aus der Hand nehmen. Du gibst damit die Macht aus der Hand.

IV Natürlich prägt jahrelanges Radiohören. Angefangen hat es mit dem "Traummännlein", dann kam "Achtung, Achtung, Sprachpolizei !" und "Wer kennt den Täter?". Die "Hörbilder", die "Tonspuren", die "Graue Lagune", "heartbeat", die Literaturminiatur, das "Kunstradio" .. helfen mir jetzt durch die Tage und Nächte. Das FM4 - Jugendzimmer mit Elisabeth Scharang muß ich mir ja nicht anhören. (Im Moment geht es um Tussen und Machos, es gibt Tussen, die stört es nicht, daß sie als Tussi gelten, andere stört es schon, die Prolos sind die mit dem dicken Goldketterl, aber ein Goldketterlträger muß nicht unbedingt ein Macho sein und ein Macho braucht nicht unbedingt ein Goldketterl und auch FM4 ist nicht machofrei und mir fällt noch ein Vorteil vom Radio ein. Es ist ein schnellebiges Medium, man hat nicht Tage später noch schwarz auf weiß vor Augen, was man von sich gegeben hat.)
Langjähriges Radiohören schärft die Sinne für die Grenzen des ORF. Auch die alten Bekannten von der Musikbox gehen mir zuweilen in "Diagonal", dem "Radio für Zeitgenossen" ganz schön auf die Nerven, wenn sie sich einbilden, irgendwer glaube noch immer, sie wären Linke, wahrscheinlich wegen dem koketten "-genossen", und sie müßten deshalb pflichtbewußt anderes beweisen.
In einer Anstalt, wo keiner ein "Genosse" sein will, wird naturgemäß ein ganz beträchlicher Teil der Wirklichkeit verschwiegen. Vor lauter Objektivität wird lieber Partei für die Herrschenden und ihre Sparpakete ergriffen. Prolos und Verkäuferinnentussen kommen nicht zu Wort, es sei denn, sie beteiligen sich bei einem der vielen Telefonspiele: "und ich möchte alle grüßen, die mich kennen", oder am "Jugendzimmer", um die Goldketterl - Frage zu erörtern und am Ende ihrer Wortspende brav "tschüss", "tschau" oder "okay" zu sagen.

Mein ganz privates Radio wäre da anders. Ehrlicher und transparenter. Schnaufer und Versprecher werden nicht mehr herausgeschnitten. Zeit zum Nachdenken gibt es genug. Schüssel und Panflöten kommen nicht mehr zu Wort. Matrosen haben sowieso eine eigene Sendung. Drucker und Malerinnen auch.


ab 23. april
http://www.art_up_austria.co.at
netscape 2.0


APRIL 96


wir lesen hören schauen linz