Budget, Finanzkapital und Rinderwahnsinn

Die ÖsterreicherInnen haben scheinbar in den letzten Monaten einen neuen Charakterzug ausgebildet. Neben dem traditionellen Neigungen zu Nörgeleien, Fremdenhaß und Suizid macht sich eine Stimmung breit, der der ekelhafte Gestank von Schicksals- und Volksgemeinschaft anhaftet. JedeR bildet sich plötzlich ein, für diesen Staat und dessen Finanzen irgendwie (mit)verantwortlich zu sein. Die Kommentatoren der bürgerlichen Zeitungen trauen ihren Augen nicht und stellen zwischen den Zeilen immer kecker die Frage, wie dumm ein "Volk" eigentlich sein könne. Mancher versteigt sich sogar dazu, der Bundesregierung massenpsychologische Kompetenz zu unterstellen. Noch im Sommer verfügten Herr und Frau Österreicher, angesichts der Sparparketdebatten, noch über den gesunden Reflex vor sich hinzuraunen "Natürlich muß gespart werden, aber doch nicht bei mir!". Mittlerweile wurde das österreichische Volk aber vom letzten bißchen Vernunft verlassen und glaubt der Regierung wirklich, man habe in den letzten Jahrzehnten kollektiv über die Verhältnisse gelebt und bekomme nun eben die Rechnung dafür präsentiert. Einer blöden Schafherde gleich sind die ÖsterreicherInnen bereit, zur großen Schur anzutreten, da man ihnen eingeredet hat, daß die Wolle, die sie auf dem Leib tragen, nur geborgt sei und jetzt eben zurückgegeben werden müsse.
Dabei ist das (natürlich) alles gelogen, es ist nämlich alles ganz anders, als es uns Regierung und Massenmedien weismachen wollen.

Kleine Wirtschaftsgeschichte der II. Republik

Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte Österreich, möglichst rasch den Anschluß zu den hochentwickelten Industriestaaten zu schaffen. Diese Wiederaufbauphase war aber durch Kapitalarmut bestimmt. Zum Unterschied zu anderen kleinen Industriestaaten wie der Schweiz, die Niederlande oder etwa Schweden, ist in Österreich bis heute kein einziger bedeutender transnationaler Konzern beheimatet. Der größte Teil des realen Kapitals war vor und nach 1938 ins Eigentum des deutschen Finanzkapitals geraten. Vor allem galt das für die Schwerindustrie, die Banken und die damals zukunftsträchtigen Zweige der Elektro- und Chemieindustrie. Betriebe und Anlagen waren gerade in diesem Bereich schwer beschädigt bis zerstört und überdies in den östlichen Teilen des Landes von Demontage durch die sowjetische Besatzung betroffen. Um diese Kernstücke einer nationalen Ökonomie wieder zu einem funktionierenden Produktionsapparat zu machen, waren große Kapitalmengen erforderlich. Kapital, das eben damals in Österreich privat nicht aufzutreiben war. Daher mußte der Staat dem Kapitalismus in Österreich auf die Sprünge helfen. Bereits 1946 wurden Verstaatlichungen, auch von Produktionsbetrieben und Banken, in für ein kapitalistisches Land einmaligem Umfang durchgeführt. Die von den Großbetrieben der öffentlichen Hand erzeugten Grundstoffe wurden zu weit unter dem Weltmarktniveau liegenden Preisen an die heimischen Betriebe weitergegeben. Dadurch konnten in der privaten Weiterverarbeitungsindustrie sehr rasch ansehnliche Gewinne erzielt werden, die während der Aufbauphase zum überwiegenden Teil auch gleich wieder investiert wurden. Ziel dieser Politik war es, sich in Österreich einige ökonomisch potente Kapitalisten heranzumästen. Flankiert wurden diese Maßnahmen noch von einer Politik der mehr als maßvollen Lohnabschlüsse, was zu einer weiteren Umverteilung zu Gunsten des Kapitals führte. Eine Politik, die nach den Unmutsäußerungen der Lohnabhängigen in den Oktobertagen 1950 in ihrer Schärfe etwas zurückgedreht werden mußte.
In den Sechzigerjahren, nach Abschluß der Wiederaufbauphase, zeichnete sich bereits ab, daß zum weiteren wirtschaftlichen Aufbau des Landes zusätzliche Großinvestitionen von Nöten waren. Vor allem der Ausbau der Wasserkraft zur Energiegewinnung und die großzügige Verbesserung der Verkehrsmöglichkeiten mußten finanziert werden. Auch hier mußte der Staat eine Schlüsselrolle übernehmen, um für das Kapital möglichst günstige Verwertungsbedingungen zu schaffen. So wurden Investitionsanleihen, Energieanleihen und Straßenbauanleihen direkt vom Staat oder zumindest mit staatlichen Garantien aufgelegt. Es wurden sogar punktuelle Steueramnestien gewährt, wenn jemand Schwarzgeld in solche Anleihen anlegte. Durch den Ausbau des Bankgeheimnisses wurde zusätzlich Schwarzgeld aus dem Ausland nach Österreich gelockt.

Durch eine Reihe weiterer Maßnahmen (Infrastrukturschaffung, Bildungspolitik, Wirtschaftsförderungen usw.) wurde nicht nur das "reale" (in Produktionsbetriebe investierte) Kapital umgarnt, sondern durch niedrige Besteuerung von Gewinnen aus Kapital (Zinserlöse, Wertsteigerung von immobilen Realvermögen, Spekulationsgewinne usw.) wurde auch noch das unproduktive Finanzkapital weiter hochgemästet. 1

Dieses Hochmästen des Kapitals hat natürlich erhebliche Geldmittel benötigt, Geldmittel, die unter anderem auch durch die Aufnahme von Krediten herangeschafft werden mußten. Wenn man aber über Jahrzehnte hinweg immer mehr Kredite aufnimmt als man an Schulden tilgt, kommt man irgendwann natürlich in Teufels Küche. Gut abzulesen ist diese Entwicklung an der Dynamik der Zinsenentwicklung. 1954 stammte 1% aller in Österreich erzielten Gewinneinkommen aus Zinszahlungen des Staates. 1970 waren es 3,9% und 1980 bereits 10,9%. Die letzte mir zugängliche Zahl sind die Zinszahlungen aus dem Jahre 1993. Damals betrug der Anteil der staatlichen Zinszahlungen an allen in Österreich erzielten Gewinnen satte 16,7%. Also stammte jeder sechste Schilling, den das Finanzkapital in Österreich an Gewinn machte, direkt aus dem Staatssäckel (Wohl gemerkt: es handelt sich dabei nur um reine Zinszahlungen, damit wurde noch kein einziger Schilling an Schulden zurückgezahlt!), oder, um es von einer anderen Seite, nämlich der des Budget durchzurechnen: von 1000 öS Abgabeneinnahmen des Staates fließen bereits knapp 400 ÖS (genau waren es 1993 383 ÖS) direkt auf die Konten des Finanzkapitals. Das erhöht die Staatsausgaben (Staatsquote) natürlich beträchtlich. Dies wird aber in der öffentlichen Lesart nicht den direkten Zahlungen ans Finanzkapital, sondern der angeblichen "Übersozialisierung" angelastet. 2

Im März des Vorjahres meinte der damalige Finanzminister Ferdinand Lacina "die Zeit der Geschenke" 3 sei nun vorbei. Ich teile diese Ansicht des Exministers, aber wer wurde in den letzten Jahrzehnten massiv von Staat beschenkt, und wer waren die GönnerInnen? Wenn mit ungeheuren Geldmitteln die Etablierung des Kapitalismus finanziert wurde, und dafür (weil man es mit den Massensteuern doch nicht gar zu arg treiben konnte) jene Kredite beim Finanzkapital aufgenommen wurden, deren Zinsenbegleichung heute den größten Budgetposten ausmacht, wer wurde da beschenkt? Es haben nicht die alleinerziehenden Mütter das Geld für sündteure Fernreisen beim Fenster hinausgeschmissen, auch die FrühpensionistInnen haben sich nicht in Massen Nächte mit rauschenden Festen um die Ohren geschlagen. Hauptsächlich wurde der Kapitalismus und vor allem deren unnötigste und parasitärste Erscheinung, das Finanzkapital, hochgemästet. 4

Und was macht das Volk? Anstatt zumindest einmal ordentlich auf den Tisch zu hauen und endlich das Ende dieser Politik zu verlangen, blickt es nur verschämt zu Boden, klopft sich auf die Brust und nuschelt "mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa". Wie kann ein Volk nur so verblöden? Im Falle Österreich kann man da sicherlich einige wichtige historische Erfahrungen ins Treffen führen: In Österreich gab es nur eine einzige siegreiche Revolution, und auch die war nur eine halbseidene; durch die Sozialpartnerschaft wurde die Österreichische Bevölkerung in eigentlich feudale Verhältnisse "gezwungen", das österreichische Bildungssystem bekommt in internationalen Vergleichen regelmäßig schlechte Noten, Mohnlutscher sind in manchen Gegenden unseres Landes noch immer ein Mittel der frühkindlichen Erziehung; usw. Es ließe sich noch ein ganzer Rattenschwanz an möglichen Gründen aufbieten, um zu erklären, weshalb gerade das österreichische Volk mit soviel Dummheit geschlagen ist. Allesamt reichen sie aber nicht aus, um diesen hohen Grad an Blödheit zu argumentieren.
So bleibt nur eine Erklärung: Rinderwahnsinn! Jene Krankheit, die das Gehirn zu einer schwammartigen Masse zersetzt, scheint in den österreichischen Köpfen ein ideales Biotop gefunden zu haben.

Dem Vernehmen nach führt Rinderwahnsinn sehr rasch zum Tod, womit sich das Problem der Budgetkonsolidierung vielleicht von selbst erledigt.

1) Nachzulesen ist dies alles und noch mehr in der von Hans Kalt verfaßten Broschüre "DER GROSZE RAUBZUG - Die strategiesche Wende des österreichischen Finanzkapitals". Diese ist bei der KPÖ (Melicharstr. 8 in Linz, Tel. 0732/652158) zu beziehen. -^-
2) Da mir der Hillinger sehr rigide Vorschriften macht, wieviel ich schreiben darf, muß ich es leider bei dieser sehr verkürzten Darstellung der Tatsachen bewenden lassen. Noch vollkommen unbehandelt ist das weite Feld der ungerechten Einkommensverteilung, und wer wirklich von den letzten Steuerreformen profitierte. Ich kann die geschätzte Leserschaft nur auf die Kanalzeitung verweisen, in der auch diese Aspekte etwas genauer beleuchtet werden - danke. -^-
3) Standard vom 22.3.1995 -^-
4) Würde ich, sagen wir einmal, Bundeskanzler sein, ein ganz normaler Bundeskanzler, der glaubt, daß die "gezügelte Markwirtschaft" im Grunde doch eine gute Sache ist, dann würde ich den GläubigerInnen einmal klar machen, daß Österreich gar nicht daran denkt, die nächsten fünf Jahre Zinsen zu bezahlen. Es würde dadurch auch gar nicht viel passieren (außer gekünstelte Aufregung), da das Finanzkapital ohnehin nicht produktiv ist, und es, das Finanzkapital, würde dadurch auch um nichts ärmer, es würde nur die nächsten fünf Jahre nicht noch rascher noch reicher. -^-


MÄRZ 96


wir lesen hören schauen linz