Beiläufig gesprochen: Von zwei Dingen zu sagen, sie seien identisch ist ein Unsinn, und von Einem zu sagen, es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts
L. Wittgenstein

"Kunst im sozialen Raum"

Stadtwerkstatt - Eine Dokumentation über erkämpften freien Raum.

Ferdl Frühstück

Die alte STWST "Die Wahrheit, wie sich die Geschichte der Stadtwerkstatt zugetragen hat, läßt sich nicht finden. Zweifelsohne sind die Widersprüche, welche ihre Arbeit begleitet haben, auch rückblickend nicht überbrück- und auflösbar. Die Entwicklung ist geprägt von der laufenden Auseinandersetzung der Beteiligten. Die Definition, was Stadtwerkstatt ist, geschieht von Fall zu Fall. Die Kommunikation entwickelt sich von wöchentlichen Versammlungen, Tür- und Angelgesprächen zu einem spezifischen Austausch zu bestimmten Themen. Dazu organisiert Stadtwerkstatt die notwendige Struktur und sorgt für Anlaß."
Eine Initiative als Zusammenschluß kulturell und künstlerisch Produzierender, die ihr Selbstverständnis wie im obigen Zitat aus der Einleitung des jüngst erschienenen Buches "STADTWERKSTATT IN ARBEIT 1979-1995-Alles was abgeht" festlegt, hebt sich schon in vielem ab von ähnlichen Zusammenschlüssen. Ist doch gerade in den letzten Jahren in der Kulturszenerie viel Kraft und Hirnschmalz darauf verwendet worden, eigene Identitäten zu suchen und zu bestimmen. Ein Unterfangen, das nebst Kräfteverschleiß bald Lähmung und Erstarrung zur Folge hatte und darüberhinaus ideologisch äußerst zweifelhafte Folgen. Wenn Stadtwerkstatt die eigene Geschichte als Bewältigung oder auch Nichtbewältigung von Widersprüchen beschreibt, so ist zumindest eines gewährt, was auch die Stadtwerkstatt seit der Zeit ihres Entstehens auszeichnet: Das Prozeßhafte und das Dynamische stehen im Vordergrund. Selbstzufriedenheit, wie in anderen Teilen der Szene oft zu beobachten, konnte so hintangehalten werden.

In der Tat, die Stadtwerkstatt ist eigentlich nie das gewesen, als das sie gerade erschienen ist. Zeigte sich die Stadtwerkstatt als Veranstaltungszentrum für etwas ausgeflippte Musik, war sie Sozialinitiative für arbeitslose Jugendliche. Erschien sie als Teil des elektronischen Mainstreams der Ars Electronica, war sie Zentrale des Häuserkampfes für Alturfahr-Ost. Erschien sie als Hausbesetzerhochburg, war sie Abfüllstation für Alkis, die gerade noch dort etwas bekamen. Wurden die Barrikaden zur Verteidigung des Hauses in der Friedhofstraße errichtet, zeichneten andere StadtwerkstattlerInnen bereits Pläne für ein neues Haus (was ja letztendlich auch durchgesetzt werden konnte). Verstand man die Stadtwerkstatt als Kunsthaus, bewegten sich die AktivistInnen auf dem Parkett der Kommunalpolitik. Als was erscheint die Stadtwerkstatt heute?

STWST Ein Anspruch, den Stadtwerkstatt seit Beginn ihres Bestehens formuliert, ist, Schnittstelle zwischen Linz und Welt zu sein. Kam das anfangs vor allem durch einen regen Austausch mit künstlerischen Avantgarden im Sinne von Veranstaltungen und Meetings zum Ausdruck, so hat sich das in jüngster Zeit auf die künstlerische Anwendung neuer Medien und Kommunikationssysteme im internationalen Maßstab hin entwickelt. Das letzte Großprojekt der Stadtwerkstatt im Rahmen der Ars Electronica "Checkpoint 1995" war wohl ein Höhepunkt solcher internationaler Vernetzung, wenn auch künstlerisch zumindest sehr diskussionswürdig. Noch zweifelhafter war wohl in diesem Zusammenhang die Beobachtung und Rezeption des Publikumsverhaltens beim Volksfest auf der Donaubrücke. Es war letztendlich nicht wegen der künstlerischen Aktion der Stadtwerkstatt erschienen, sondern wegen dem historischen Volksfest. Und ein Großteil der Besucher brachte es auch unverhohlen zum Ausdruck: Die (zumindest gespielte) historische Nähe zum Krieg war es, die lockte. Militärgerät für die Männer (Autofahrdeppen) und Soldaten für die Frauen (uniformgeil) waren von Interesse. "Aufgewachsen in einem Zeitalter der Sicherheit, fühlten wir alle die Sehnsucht nach dem Ungewöhnlichen, nach der großen Gefahr. Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch. In einem Regen von Blumen waren wir hinausgezogen, in einer trunkenen Stimmung von Rosen und Blut", diese Sätze aus Ernst Jüngers Stahlgewitter beschreiben die Stimmung der Mehrheit des Checkpoint-Publikums wohl am ehesten. Bestürzend. Aber wohl auch signifikant für eine Stadtwerkstatt-Aktion, Einsicht in die Befindlichkeiten der Massen zu gewinnen. Wenn diese Erkenntnis auch nicht Ziel der Künstler und Organisatoren dieses Projekts gewesen ist. Insofern auch wieder ein Erfolg.

Zur Medienarbeit der Stadtwerkstatt sei angemerkt,daß hier gesellschaftspolitische Pionierarbeit geleistet wird. Nicht zuletzt das Engagement in Sachen freies Radio beweist dies. Stadtwerkstatt verficht seit jeher eine emanzipatorische Radiopolitik und -kultur in dem Sinne, daß jeder Empfänger ein potentieller Sender sei, daß Interaktion der Teilnehmer ein wesentlicher Ansatz von Radiokultur bedeute, daß feedback ein wesentliches Kriterium für einen Lernprozeß der STWST-TV Radiomacher und des Publikums sei, das sich ja aufgrund der vorgenannten Forderung ohnehin durchdringen müsse. Ein Ansatz, der in vielerlei Aktionen von STWST-TV ebenso versucht wurde zu berücksichtigen.

Einen weiteren Anspruch, der sich konsequent durch die Stadtwerkstatt-Arbeit zieht, formulieren die Betreiber folgendermaßen: "Die Mannigfaltigkeit der Arbeitsansätze von Benutzern und Betreibern führte zu einer permanenten interdisziplinären Konferenz der Kunst und Kultur in materieller, ästhetischer und gesellschaftlicher Hinsicht." Ein Anspruch der fordert, weil man sich stellen muß. Kunst und Kultur im öffentlichen Raum zu betreiben läßt kein Herumdrücken zu. Man muß Position beziehen, künstlerisch, sozial und politisch. Das hat Stadtwerkstatt auch immer getan. Das verlieh ihr Konturen und Ecken. Das machte sie angreifbar, aber das setzte auch Diskurs in Gang, forderte Initiative heraus. Synergien, die nicht nachvollziehbar sind, waren die Folge. Was in der Stadtwerkstatt begann, zeigte seine Wirkung oft zeitlich und räumlich ganz woanders.

Ein spannendes Projekt Stadtwerkstatt. Das Buch, das im Rahmen der Stadtwerkstatt-Ausstellung im Landesmuseum Linz herausgekommen ist, zeigt kaleidoskopisch zahlreiche Facetten einer Arbeit, die vielfältiger nicht sein könnte. Von theatralischen Aktionen wie die Uraufführung der Dramen des nunmehrigen King-Poeten Flati bis zum Bau des "Ziegelturms in Zeitspirale", von den Konzerten in der frühen Stadtwerkstatt (Blurt, Sceleton Crew, John Rose, Arto Lindsay uva. wären wohl zu dieser Zeit ohne Stadtwerkstatt nicht in Linz zu hören gewesen) bis zu Aktionen wie "Wettergebäude" (die Stadtwerkstatt hat sich wirklich im Wettermachen versucht) oder "Die Oper lebt" (da wurde eine Diskussion, die viel später erst wirklich einsetzte, vorweggenommen), von Ausstellungen zur Linzer Luft bis zu den Aktivitäten von "STWST TV". Von Film über Ausstellungen zu Installationen und Video, um nur einige wenige Kapitel des Buches anzuschneiden.

Ein riesiges Opus eines unentwegt sich ändernden Zusammenhangs, der stets wieder spannende Auseinandersetzungen initiiert. Durchsetzt ist diese Dokumentation eines Prozesses durch Essays und Artikel von Stadtwerkstatt-BetreiberInnen.
Besonders sei hier auf die Essays von F.E. Rakuschan "Im Reich der Devianzen - Niemand ist sich seiner sicher" und Reinhard Kanonier "Im Wendekreis der Pflastersteine" verwiesen, die sich Stadtwerkstatt vor allem im philosophischen und gesellschaftspolitischen Kontext annähern.

Ein Buch, das vieles sein kann. Anlaß zu sentimentalen Reminiszenzen, wer das will, aber auch Chronik einer steten Subversion. Denn subversiv ist das Stadtwerkstatt-Werken allemal - auch wenn es im Landesmuseum dokumentiert wird.

Stadtwerkstatt IN ARBEIT `79 - `95: Alles was abgeht
Hrg. OÖ Landesgalerie, Triton Verlag ,Wien 1995


MÄRZ 96


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