Kurz zum Inhalt:
Als Kulturjournalistin für die Zeitschrift Maxi ist Ortrud an versch(r)obene Wertigkeiten gewöhnt, denn "Bildung bedeutet heute zu wissen, was der Cash-flow ist; Kultur bringt kein Geld, notiert nicht an der Börse, ist bestenfalls ein Relikt für Bildungsbürger, aber nicht für die Lebenden gedacht", doch da "Kultur mittlerweile als "schützenswertes Gut" gilt, so wichtig wie die sterbenden Wale oder die Wasserschildkröte, darf sie Maxi weiterhin als winziges Accessoire schmücken".
Wie schnell sich Werte und angenommene Fixpunkte jedoch auch im eigenen Leben ändern können, erfährt Ortrud, als sie anstelle des versprochenen Trauscheins einen Brief ihres Geliebten vorfindet, worin er kurzerhand ihre gemeinsame Liebesgeschichte zu einer primitiven Sex-Affäre degradiert und ihr den Laufpaß gibt. Ortrud sieht orange und will Rache, weil sie Gerechtigkeit will. Sie nimmt sich die Freiheit, "aus dem seitenlangen Brief einen Zettel zu machen, einen Zettel mit ein paar trockenen, ganz gemeinen, hinterhältigen Zeilen" und schreibt ihre Große Geschichte - bissig, amüsant und mit einer gehörigen Portion Selbstironie. Denn sich jung zu fühlen, heißt noch lange nicht "den leicht quellenden Bauch, die Halsfalten oder das schlapp werdende Fleisch an den Schenkeln und Armen" einer 55jährigen verleugnen zu können, noch dazu, wenn ein versehentliches Hinfallen von den Umstehenden bereits als erstes Anzeichen von Gebrechlichkeit gewertet wird. Und noch ärgerlicher, diesem "hämorrhoidale Schwein, Unterleiberlträger und zusätzlich auch noch Autowäscher" auf den Leim gegangen zu sein.
Mit Kapitel 10 kommt auch der erste Teil des Titels ins Spiel. Sex, oder das, was viele von ihm halten, nicht wissen und/oder als unwichtig abtun. Spätestens dann, wenn er nicht so verläuft, wie schlaue Bücher oder nicht-hinterfragte Erzählungen es suggerieren. Ihr Bemühen, ihm eine tolle Geliebte zu sein, schmeichelt seiner Männlichkeit und nach orgastischen Nächten "fühlt er sich wie zum Ritter geschlagen, aufgenommen in die geheime Gesellschaft der Frauenhelden und unwiderstehlichen Liebhaber". Ortrud ergeht es ähnlich und wider besseren Wissens entwickelt sie das Bild einer perfekten Beziehung, die aufrechtzuerhalten zu ihrem höchsten Ziel wird.
Daß schließlich alles anderes kommt, wird bereits auf den ersten Seiten des Romans klar; der Weg dorthin ist mit Augenzwinkern und bitter-süßer Ironie gepflastert.
Eine flapsig geschriebene und höchst amüsante Beziehungskiste, die nicht nur verschenkt (Weihnachten kommt bestimmt) und nicht nur von eingeschworenen Singles oder Beziehungsgeschädigten gelesen werden sollte.
Inge Proyer
Ditta Rudle: Sex Orange Roman. Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder 200 S., geb., ÖS 248,- Wiener Frauenverlag 1995, Wien ISBN 3-85286-019-9
MÄRZ 96
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