Der Rückfall
Nixenfall
ZuFälle oder nicht - die Herbstneuerscheinungen des Wiener Frauenverlages
weisen gleich zwei davon auf: Der Rückfall von Karin Rick und Dorothea
Macheiners vierten Roman Nixenfall. Fällt Ricks Protagonistin Iris
aus ihrer Lesbenrolle in eine hetero-Beziehung und damit in die Auseinandersetzung
über eine neu zu definierende Realität, so strudelt Macheiners
Seenixe Nike als in die Zeit des Zweiten Weltkriegs geborene Edith in die
Wirren dieser Ereignisse, verdrängter Gefühle und Naturgewalten
am Attersee. Mit Begriffen wie Stalin, -grad, Mussolini und Kazett wächst
Edith in ein von starren Konventionen geprägtes dörfliches Leben
hinein. Ihre Mutter Herta benutzt die Hitlerideologie von Zucht und Ordnung
als Lebenskrücke, um mit der Schande, der uneheliche Balg einer Wiener
Herrschaftsköchin zu sein, überleben zu können. Ihre Suche
nach Liebe äußert sich bald in Form von Krankheiten,und Vater
Oswald verkümmert neben seiner Frau und dem übermächtigen
Bruder Theo zur schweigenden Randfigur. Hertas Grausamkeit läßt
Edith in die Welt der Fantasie, in ihr Nixensein flüchten, um jene
Geborgenheit zu finden, die ihr das Umfeld verweigert. Mit dieser Zweitteilung
ihrer Persönlichkeit aber stößt sie auf noch mehr Unverständnis.
Ich, Nike, war es, die gelacht hatte. Und wie immer, wenn ich mich äußerte,
versetzte ich Herta in Panik. Mich wollte sie ausrotten, ausmerzen, vernichten
wie Ungeziefer. Ich war die Schlange in ihrem Paradiesgärtlein, der
Dunkelraum ihrer Seele, den sie niemals betrat, der Balken im Auge, für
den sie blind war.
Sprünge in die Zukunft wie der Besuch des KZs Ebensee, der Um-Gang
mit Vergangenheit und Gegenwart in Gegenüberstellung zu Mythos und
Fantasie schaffen ein Spannungsfeld, das dicht gedrängt Geschehnisse
aufeinanderprallen läßt und weit weg von jeglicher Lamoyanz die
LeserInnen in ihrer eigenen Geschichte fesselt.
Karin Rick
Der Rückfall
Wiener Frauenverlag, Wien 1996
öS 189,-/168 Seiten
Dorothea Macheiner
Nixenfall
Wiener Frauenverlag, Wien 1996
öS 268,-/239 Seiten
Autoren zur Unzeit
Autoren zur Unzeit - ein ö.Lesebuch, das gerade rechtzeitig erschienen
ist, um sich noch vorm Jahreswechsel in Sachen junger zeitgenössischer
Literatur upzudaten. 12 AutorInnen geben sich makaber, sarkastisch, bösartig
und witzig; der Apokalypse unserer Unzeit auf der Spur.
Sein Gesicht hatte sich sehr verändert: Narben, die schlecht verheilt
sind, am Kinn, auf den Wangen und an der Nase. Er tut mir leid. Nur ein
Stockwerk unter meinem Büro liegt sein Arbeitsplatz. Aber der Zutritt
zu seiner Abteilung ist mir verwehrt; das alles wäre ja noch zu ertragen,
wenn da nicht diese gerichtliche Untersuchung gegen mich wäre. Eine
Schikane, man will mich fertigmachen. Ich weiß nicht, wie lange ich
diese Situation noch aushalten werde, denn jede Aufregung schadet meinen
Nerven. Ich habe mich doch bei Ludwig entschuldigt, mehr kann man doch nicht
tun, oder? fragt sich da unschuldig der "Held" von Günther
Kaip, nachdem er seinen Freund stundenlang gequält und verstümmelt
hatte. Franzobel hingegen stellt fest, daß ein öffentliches Ärgernis
ein öffentliches Ärgernis ist und alles ärgerlich findet:
Scheiben-Kleister war er wütend, mürrisch und mies. Das war ein
großes Ärgernis. Patricia Brooks nennt ihre Geschichte Sie kam
nach Wien, nahm ein Zimmer in Simmering, suchte eine Arbeit bei Billa und
fand einen Postpunk. Und das man sagt, ihr Gang kontrolliere jetzt New York,
ist vermutlich ja doch nur ein Gerücht. Bei Christian Loidl wiederholt
sich die Wirtin selbst, und wenn Matthias Schamps Flugbenzin im wahrsten
Wortsinn ein Schuß in den Ofen ist, dann legt er mit seiner phantastischen
Abenteuerreise auf den Planten Terra so richtig los, denn schließlich
ist das das letzte der großen Gefühle. Fritz Ostermayers Interview
mit Hermes Phettberg darf natürlich auch nicht fehlen, aber eigentlich
hilft nur: Lesen!
Autoren zur Unzeit
Lesebuch Österreich
edition selene, Klagenfurt - Wien 1996
ISBN 3-85266-030-0
Inge Proyer
Qualitativer Sprung
"Literaturförderung ist eine Zukunftsinvestition, die sich 'rechnet'",
schreiben Bürgermeister Dobusch und Kulturstadtrat Dyk im Vorwort der
diesjährigen "Facetten", dem literarischen Jahrbuch der Stadt
Linz, das pünktlich wie ehedem kürzlich wieder erschienen ist.
Wieder einmal haben sich die SchreiberInnen der Politiker sich und ihre
Chefs selber hineingelegt, denn wahrscheinlich wollten sie gar nicht schreiben,
daß Literaturförderung, speziell wenn es sich um Preisgelder
handelt, ins Gerede gekommen ist, weil es sich vor allem für die Finanz
rechnet, die im Zuge des allgemeinen Sparwahnsinns und brutalen Abzockens
auch bei den ohnehin wenigstverdienenden AutorInnen zulangen wollen. Aber
was soll's, Honorare (auch so mickrige wie die der "Facetten")
mußten ja ohnehin immer schon versteuert werden. Das wäre Stoff
für reichlich Auseinandersetzung, in die sich die Kulturpolitiker gefälligst
einzumischen haben, und nicht gutmenschelnd von den Vorzügen ihrer
eigenen Kunstförderung zu schwafeln.
Aber hier gilt es Wichtigeres zu tun: Nämlich die Jury zu würdigen,
die es erstmals seit Jahren geschafft hat, "Facetten" herauszubringen,
die keine altbürgermeisterlichen Peinlichkeiten à la Schanowsky
beinhalten. Ein qualitativer Sprung möchte man meinen, daß es
der alte Wurstel einmal nicht geschafft hat, sich in eine Anthologie zu
drängen, die eigentlich den Jungen vorbehalten sein sollte. Insgesamt
sind in der diesjährigen Ausgabe vierzig Texte (mehr als 140 Einreichungen),
quer durch alle literarischen Gattungen, versammelt, die wirklich Lust auf
mehr von den einzelnen AutorInnen (zumindest von den meisten) macht.
Es ist besonders auf zwei AutorInnen hinzuweisen, die auch "Hillinger"-LeserInnen
keine Unbekannten mehr sein dürften: Eugenie Kain, Betreiberin des
EU-Tagebuchs und als solche auf ansatzlose kurze Haken umgestiegen, zeigt
in ihrem "Facetten"-Beitrag welch großartige Erzählerin
sie ist. "Das Meer der Haifischzähne", so der Titel des Textes,
ein Auszug aus einer größeren Arbeit, läßt wirklich
ungeduldig werden, wann endlich ein Eugenie-Kain-Prosa-Band erscheinen wird.
Rudolf Habringer, im "Hillinger" zuletzt mit einem satirischen
Text über sein eigenes Ableben vertreten, stellt in den "Facetten"
ebenfalls einen tollen Erzähl-Text vor. Ein Produkt seines letztjährigen
Berlin-Aufenthaltes, von dem man auch mehr wissen möchte. -ff-