Das Kapital fickt uns täglich.
Aber ist uns das Sex genug?
einleitung
also wir waren halt dort, in venezuela, colombia, ecuador und peru. was
wir hier für euch aufs papier getan haben, ist eine abbildung unserer
eindrücke. die, die dort waren, werden sagen, das ist eh alles klar.
die, die irgendwo waren, werden sagen, das ist ja eh alles dasselbe. lest
einfach, aber erwartet euch keine neuen strukturen. denkt an die geschwindigkeit
von sechstausend kilometern in zehn wochen. gereist und geschrieben von
stefan baumgartner, ewald elmecker, gerald kogler und mexx seidl.
entertainment.
musik. ist alles dort. gibt es in der musik wie bei den menschen
auch grosse unterschiede, was die geografische lage betrifft. ich spreche
von dem markanten unterschied berge <-> küste. an der küste
viel schwarzer einfluß, was sich in den percussions niederschlägt.
auch die spanier brachten einiges mit, walzer & polka. das ganze zusammen
nennt sich Vallenato, fast immer mit ziehharmonika, gitarre, fetter rythmussektion,
sängerIn & chor. und das fährt. themen sind liebe & revolution.
es gibt auch einen star an der küste, Carlos Vives, ist aus Cartagena,
Colombia. der ist sehr hitparadenkompatibel, fährt nicht mehr so gut.
musik in den bergen ist ganz anders. mehr südamerikanisch. Las Bandas,
das sind blechblasmusiken mit rythmussektion, meistens ohne sänger.
die spielen kompromißlos, für unser notensystemverständnis
einfach falsch, aber es fährt. (habt ihr Kusturicas Underground gesehen
bzw. gehört?) ... aber ich muß aufhören, musik kann nicht
beschrieben werden. die musik hört man natürlich immer und überall.
("fast jedes standl hat ein besseres soundsystem als das strom")
in den bussen auch fette soundsystems. am abend in den kleinen fischerdörfen
wird das
soundsystem vom super mercado herausgestellt. der super mercado ist fast
rund um die uhr offen, weil er auch gleichzeitig das einzige wirtshaus ist,
und somit außer dem strand sozialer mittelpunkt des dorfes. der raubkopienmarkt
floriert, das urheberrecht ist weißichnichtwo. überall standeln
mit unmengen von tapes. madonna & sepultura gibts auch, aber nicht wirklich,
in den neustädten ist alles so wie bei uns.
kino. durch unsere überall nur kurze verweildauer war es fast
nirgendwo möglich irgendwelche programmkinos auszuchecken, die interessante
filme spielen. sensation im sommer war natürlich Independence Day,
die leute standen schlange. aber auch El Protector (Eraser) war ein hit.
komisch, aber gut für gringos ist, daß die kinofilme im gegensatz
zu irgendwelchen trashserien im fernsehen nicht synchronisiert, sondern
untertitelt sind. wir schafften es nur einmal, uns einen film von dort anzusehen,
und zwar einen aus peru, der Asia genannt war. die bilder waren dramatisch.
die handlung war: mann nummer eins, ein gangster mit schnurrbart, auf der
flucht, trifft frau nummer eins (schön, weiß). trennung. später
ist mann nummer eins unterwegs, trifft frau nummer eins wieder. durch unglückliche
umstände von der autobahn mitten in die wüste, von dort in die
berge. treffen mit frau nummer zwei (schön, india) zusammen. mann nummer
eins hat schnellen, wilden sex mit frau nummer zwei. frau nummer eins ist
sauer. mann nummer eins hat langsamen und zärtlichen sex mit frau nummer
zwei. mann nummer zwei taucht auf, der ein blutrünstiger fiesling und
natürlich auch polizist ist, und keinen schnurrbart hat, und zufällig
der ehemann von frau nummer zwei ist. er vergewaltigt sein eheweib nachdem
er eine ziege geschlachtet hat und voll blut ist. daraufhin saufen mann
nummer eins und mann nummer zwei miteinander. anschließend kämpfen
sie zwei wochen, dann tötet mann nummer eins (gangster, schnurrbart,
top-liebhaber & natürlich weißer) mann nummer zwei (polizist,
kein schnurrbart, kein guter liebhaber, indio). happy end. so sans.
comics. haben eine andere dimension als bei uns, da sie mehr der
lesestoff von erwachsenen als der von kindern sind. es gibt agentencomics,
mystische geschichten aus indien &
alles. ziemlich viel schmalz die ganze zeit.
fortbewegung.
Sudamerica beweist, daß öffentlicher verkehr auch ohne großartige
Managerkonzepte auskommt. anders als beim OÖVV, der uns öffentlichen
verkehr aufzwingen will, auch wenn es keine kostenwahrheit beim straßenverkehr
gibt, hat sich in Sudamerica ein verkehrsnetz entwickelt, das einfach funktioniert!
keine roten zufallsgeneratoren, keine bunten logos: haltestelle ist dort,
wo jemand ein- oder aussteigen will. abfahrt dann, wenn ein bus kommt, also
üblicherweise im minutentakt. busfahren nicht nur als notwendigkeit
der fortbewegung, sondern als unterhaltung und kommunikation. der busfahrer
als DJ der straße, der bus als wohnzimmer mit posters, marienstatuen
und eigenem soundsystem, subwoover befinden sich üblicherweise unter
der letzten sitzbank. gegröle von doppelt so vielen fahrgästen,
wie eigentlich im oder auf dem bus sein dürfen. aber das mit dem dürfen
nehmen sie nicht so genau.
ideale voraussetzung ist natürlich, daß privatautos ein luxusgut
sind. dementsprechend ist auch das straßenbild von bussen, taxis und
riesentrucks geprägt. busunternehmer ist jeder, der einen bus lenken
kann. als negative folge davon gab es in letzter zeit einige schwere busunfälle
minderjähriger, führerscheinloser lenker. auch die gründung
eines taxiunternehmens ist sehr einfach. man kauft sich an irgend einer
straßenecke ein taxi-schild, befestigt es an seiner karre und fertig
ist das taxi.
nachteil dieser entwicklung ist das fast gänzliche fehlen von schienenverkehr.
abgesehen von einigen touristenstrecken in den gebirgigsten teilen der anden
gibt es keine funktionierenden zugverbindungen. das dürfte auch auf
das gut ausgebaute straßennetz der inkas zurückzuführen
sein, das die spanier nach deren ausrottung adaptierten und ausbauten.
am zustand des straßennetzes läßt sich ganz gut der wohlstand
der lateinamerikanischen länder ablesen. venezuela kam in den letzten
dreissig jahren durch seine erdölfunde zu unerwarteten devisen, die
man (auch) in den ausbau des straßennetzes steckte. durchwegs asphaltierte
straßen, eine begebenheit, mit der kolumbien nicht dienen kann: nur
zehn prozent des verkehrsnetzes stauben nicht. das bremst natürlich
die reisegeschwindigkeit! zweihundert km werden zur tagesfahrt. man hört
auf in km zu denken. distanzen werden zu wegstunden, apathisch aus dem fenster
schauen und hirnfotos schießen zur hauptbeschäftigung.
Als etappenziel dienen letztklassige hotels in der billigen altstadt. auch
stundenhotels mit hauspornosender mutieren zum gemütlichen basislager
für stadtexpeditionen.
wirtschaft.
updown nennen sie die tiefen wasser, wo sich die geldhaie tummeln, downtown
die tümpel der kleinen fische und favelas bzw. slums die riesigen,
ausgedörrten staubwüsten des urbanen Sudamericas.
Von den geldhaien braucht man nicht viel zu schreiben, in dieser hinsicht
ist Sudamerica sehr nordamerikanisch. das geschäft mit dem weißen
pulver wird zwar mittlerweile von allen regierungen hart bekämpft (wird
zumindest behauptet), nicht zuletzt wegen der kreditwürdigkeit gegenüber
dem westen, ist aber nach wie vor für tausende coca-bauern die lebensgrundlage.
von den einst marxistischen guerillagruppen Kolumbiens blieb nur mehr deren
kapitalistisches skelett übrig. bankkonten in der scheiz sind nicht
die geeigneten waffen für eine revolution. großgrundbesitzer
sind die wahren sieger des spanischen kolonialismus.
abseits der kapitalistischen festungen haben sich unabhängige strukturen
erhalten. zum beispiel in ecuador in den dürren gegenden, wo sich landwirtschaft
als massenindustrie nicht auszahlt, das land im besitz von indiokollektiven
ist. die menschen leben ohne jegliche infrastruktur wie strom, wasser oder
telefon. interessant ist auch das fehlen von nachnamen und ein ähnlich
gutes spanisch wie das gringospanisch. die sprache die gesprochen wird,
ist Quechua, und die leute haben dorfweise den gleichen nachnamen. geld
ist keine wohldefinierte grösse, sondern ein tauschmittel. am markt
kostet alles mill (tausend sucres, ca. drei schilling.) das system funktioniert
abseits von kreditkarten und inflationsraten.
da man als gringo, selbst wenn man low budget reist, sehr viel mehr geld
zur verfügung hat als ortsansässige, und sich das auch schon herumgesprochen
hat, ist feilschen angesagt. für exoten hört das feilschen nicht
beim obst und gemüse auf, nein, man muß genauso über den
preis von hotelzimmern und bustickets verbale gefechte führen. aber
es macht spaß durch die belebten downtowngassen zu ziehen und sich
manchmal abziehen zu lassen. lieber das dreifache für Arepas zahlen,
als sich von geschickten taschenaufschneidern den paß flauchen zu
lassen. lieber den straßenkindern essen zu kaufen, als ihnen den klebstoff
zu finanzieren.
gringos.
zu diesem thema ist zu sagen, daß man als einer, der nicht von dort
ist, als erstes als gringo angeredet wird. ist nicht wirklich bösartig,
ist ein wort für fremder. in peru heißen nette gringos "gringitos".
fast überall trifft man sie, zumindest wenn man in den spiegel schaut.
es gibt alle nationalitäten. sie treten auf als pauschalreisende, traveller,
aussteiger oder einfach touris. man trifft sie feilschend auf märkten,
bruzzelnd in der sonne, wandernd in den bergen oder gemütlich in den
tag lebend. die aus- ein- und umsteiger lassen sich etwas einfallen, um
den ewigen urlaub zur routine zu machen.
kolonialismus
lang ist es schon aus, daß die spanier kamen. gegangen sind sie nicht
mehr, viel haben sie nicht übriggelassen. aber böse, nein böse
sind ihnen die Sudamericanos nicht wirklich. Welche Sudamericanos auch,
viel sind ja nicht übriggeblieben. in den ersten hundert jahren nach
dem beginn der kolonialisierung starben sechzig millionen indios. das heißt
sie wurden einfach gekillt, starben bei ihrer top-sklavenarbeit in silberminen
oder starben an den von den spanieren eingeschleppten seuchen. ein zehnfacher
holocaust.
Quechua, die inkasprache gibt es noch, aber gilt mittlerweile als minderheitensprache.
ja, und die katholische kirche war wie immer auch vorn dabei. so viele neue
gläubige für unseren lieben gott wollte man sich ja dann doch
nicht entgehen lassen. Und hat damit voll ins schwarze getroffen. jesus
ist mittlerweile ein popstar, maria in jedem autobus und gott teil ihrer
identität.
redet man mit einem Sudamericano über kolonialismus, bekommt man als
erstes schlagwort "spanische architektur" an den kopf geworfen.
Ja, schöne städte haben sie gebaut, Cartagena ist eine traumstadt,
die altstadt von Lima ist schöner als madrid, aber spanien wäre
eigentlich näher gewesen!
kommunikation.
passiert in erster linie auf der straße. die menschen in Sudamerica
sind gute geschichtenerzähler, und vor allem gute zuhörer, basis
für jede funktionierende kommunikation. zeitungen sind nur zweitrangig,
wie es scheint. schlagzeilen von blutigen anschlägen oder einer heftigen
politaffäre sind nur halb so interessant, wenn nicht ein nackter arsch
einer hellhäutigen frau die titelseiten zieren.
das, was wir als sexismus bezeichnen, zieht sich wie ein roter faden durch
die weite welt der Telenovelas (seifenopern im fernsehen). die menschen
leben und sterben mit den helden. syndrome, die wir ansatzweise von serien
wie lindenstrasse und beverly hills kennen, nehmen in sudamerica andere
dimensionen an. daß der fernseher die facetten von bildstörungen
spielt, stört sie nicht wirklich. hauptsache sie können mitleiden,
-lieben oder -trauern.
in den städten scheint telefonieren ein alter volkssport zu sein, da
die meisten keine eigenen telefonanschlüsse besitzen, spielt sich wieder
alles auf der strasse ab. manch stolze telefonbesitzer verlegen ihre apparate
auf die strasse und verdienen auf diese weise ihre kohle. da sch telefonleitungen
nicht so schnell ver legen lassen sind handys sehr verbreitet und auch nicht
so teuer. teuer sind eigentlich nur auslandsgespräche, aber man findet
manchmal findige geschäftsleute, die einen universalschlüssel
für alle telefonzellen des staates besitzen.
landschaft.
stichworte. grün. gelb. blau. sattes grün. fettes gelb. starkes
blau. grosse weite in den bergen. wohlige enge im wald. geräusche.
klima. angenehme wärme, trockenheit oder drückende schwüle.
strand. sand in der wüste. berge. pyramiden. vulkane. lamas. riesenstädte,
meist zweigeteilt in eine spanische altstadt und eine westliche neustadt.
die mauern befinden sich dort (in der neustadt) rund um die häuser
(mit glasscherben und wachposten mit pumpguns). wir hier leben in einer
grösseren neustadt, die mauern sind an unserer ostgrenze. das kapital
verteidigt sich überall. aber weiter landschaft. müllhalden hinter
den dörfern. müllhalden verstehen sich von selbst. naturflashes
auch.
menschen.
sehen anders aus. sind wie überall die selben, aber auch nicht. es
gibt eine diskrepanz in der sogenannten mentalität zwischen Costeños
(küstenbewohnern) und Andinos (bergbewohnern). eine gewaltige diskrepanz.
an der küste ist man als grantiger österreicher die ersten paar
tage perplex.
dann funktioniert es. grüssen. worte wechseln mit allen. körperabstand
gegen null. herzlichkeit. amigos. geschwindigkeit. lachen. mit einer kurzen
hose und vielleicht badeschlapfen kommst du das ganze jahr durch. feuer.
jesus, che guevara, hl. jungfrau maria und kurt cobain sind popidole.
das ist die überleitung zu den Andinos. dort sind die leute natürlich
auch freundlich, aber reservierter. wirkt sich die umgebung, in der man
lebt, aufs gemüt aus? seid ihr schon mal in sandl gewesen? die katholizierung
hat bei den Andinos eindeutig besser gewirkt.
geschlechter. machitos.
ureinwohner. gibts noch ungestört in den weiten des primärwaldes,
gibts in den bergen unvermischt aber katholiziert und mit schwarzen hüten.
menschen sind menschen, sind wie überall interessant. sind überraschend
in Colombia. du wirst nach einem fünfminutengespräch ins haus
zum wohnen eingeladen. sind unglaublich neugierig. die besten und härtesten
spanischlektionen bekommst du beim busfahren, wo der finger vom wörterbuchblättern
glüht.
politik.
der ganze politik- und demokratiezirkus wie überall nur ein handlanger
des multinationalen kapitals. alles demokratien. Colombia hat als einziges
der vier länder eine liberale regierung, eine interessante regelung
ist das system der Estratos (schichten). es geht um betriebskosten für
gebäude, also strom, wasser, telefon, müllabfuhr (falls vorhanden).
alle wohngebiete sind in einen der sechs Estratos eingeordnet, die unterschiedlich
viel für diese betriebskosten bezahlen. ein aspekt ist jener der "sozialen
gerechtigkeit" (muß unter anführungszeichen), ist doch super
wenn du als arme sau nur ein zehntel für das ganze zahlst. ein zweiter
aspekt ist jener der Einteilung in "gute" & "schlechte"
viertel, was aber auch ohne dieses system passiert. Colombia hat auch eine
liberale gesetzgebung was den konsum von drogen angeht. aber die liberale
regierung dort ist natürlich von unwahrscheinlichen skandalen erschüttert.
im september hat die guerilla mit gezielten schlägen mehr als 200 polizisten
und soldaten ermordet. zur guerilla, die in den anfängen vor jahrzehnten
sehr politisch war, kann ich euch eine aktuelle verschwörungstheorie
nicht ersparen, nämlich daß die stahlhelmfraktion in der wirtschaft,
die einen cleanup mithilfe einer militärjunta in Colombia fordert,
die guerilla sponsert, um die regierung weiter zu erschüttern.
in venezuela und peru haben wir nicht viel von der politik mitgekriegt,
was man wie überall sieht, ist die unglaubliche präsenz von militär
und polizei (beide korrupt). in ecuador waren im juli wahlen. plakatwerbung
passiert dort mit pinsel und farbe, d.h. man sieht Überall (auf felsen,
häusern, mauern) aufgepinselte parolen, gesichter, wahlaufrufe und
listennamen. bei einem gespräch mit einem mitreisenden werden wir gefragt,
ob es sich bei österreich wirklich um eine demokratie handelt, weil
die anzahl der parteien so gering sei. in ecuador gab es 27 kandidierende
personen/listen für die präsidentschaftswahlen. geworden ist es
dann ein gewisser Abdala, und keine der befragten personen konnte uns seine
politische richtung nennen, alles was wir wissen, ist, daß sein hauptslogan
im wahlkampf "die armen zuerst" war. mittlerweile hat er einen
ähnlichen bart wie ein bekannter braunauer, hat eine ausgangssperre
in der nacht verhängt und hat alkoholkonsum auf der strasse unter strafe
gestellt. im fernsehen sieht man ihn jetzt kleine kinder küssen, gitarrespielen
& singen und tore beim fußball schiessen. zum torschießen
war ein netter ausruf in einem wirtshaus beim gemeinsamen fernsehen: "der
tormann hat sich gerade 15 jahre verschärften kerker erspart".
Abdala ein populist, einen von der sorte kennen wir ja.
bilder aus:
J. Golte: Los Dios de Sipan. IEP 1993.
J. Golte: Los Dios de Sipan Zwei, IEP 1994.
lesen:
TC Boyle: America, Hanser 1996
Gabriel Garcia Marquez: Hundert Jahre Einsamkeit
und wie immer für kurt.
2+3=5