jim carreyMarvin Apiary & Terence Marcus

Pistazien?

Pistazien! Pistazien auf dem Tisch sind äußerst gefährlich, weil sie doch, kaum ist eine geöffnet und verschlungen, nicht wieder abgesetzt werden, bis auch die letzte verzehrt ist. Das ist - die Redaktion gibt das unumwunden zu - wieder eine dieser seltsamen Einleitungen zu einem noch viel seltsameren Filmartikel.

Aber sie macht natürlich Sinn, denn mit zwei Filmredakteuren ist es gerade so wie mit den grünen Nüßchen in der gesprungenen Schale: wenn sie sich einmal über Film zu unterhalten beginnen, ist die Konversation nicht zu stoppen, bevor nicht auch der letzte Streifen noch gestreift wurde. Also, nicht daß sich Pistazien nun über Filme austauschen würden - der Vergleich ist etwas verquer - aber Marvin Apiary und Terence Marcus tun es. Über deren Privatleben, das, wie wir über verschlungene Wege erfahren haben, besonders die Leserinnen dieses Blattes interessiert, ist wenig bekannt. Außer: beide essen gerne Pistazien. Über Vorlieben beim Vorspiel und frühere Lieben mit Nachspiel wurde erst geplaudert, als unser Recorder den letzten Saft aus den Batterien gezogen hatte. Und schon haben wir wieder ein verschlungenes Vorwort gezimmert, das alle seine Rätsel innert weniger Zeilen auflöst und in dem dreimal das Wort "verschlungen" in seinen diversen Bedeutungen vorkommt. Tja dann, Ring frei

Marvin A.: He, du bröselst ja den ganzen Tisch voll mit diesen Pistazienflankerl!
Terence M.: Nicht unbedingt eine Aussage mit großem politischem Gehalt. Übrigens kenne ich keinen Film, in dem Pistazien gegessen werden.
Das ist wahrscheinlich, weil die Brösel ständig die Kameralinse verunreinigen würden. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, daß so mancher Star, sitzt er erst mal in einer Drehpause in seinem klimatisierten Wohnwagen, die knakkigen Dinger einwirft.
Was mich aber stutzig macht, ist, daß es an den Kinobuffets kaum Pistazien gibt. Ich meine man bekommt doch dort sonst so allerhand: Dragee
Keksi, Manner Schnitten, Aschantis,
Und die Schalen? Würdest du die in der Jackentasche wieder hinaustragen, oder was? Das ist ja doch
Na ja, man müßte nur so Packungen machen, die man aufklappt und in den Deckel schmeißt du quasi die Schalen rein. Wenn du das ganze auf dem Schoß liegen hast, bleiben noch immer zwei Hände frei fürs Schalenknacken.
Ja, und wenn du dann gerade in einem Jim Carrey-Streifen sitzt und deine Freundin schreckt sich nebenan über eine seiner Grimassen heftig, dann liegt der geöffnete Gehäusesalat auf dem Boden. Oder auf deiner besten Hose.
Carrey ist wirklich manches Mal zum Fürchten. Derart gewaltvolle Komik ist selten. Seine physische Präsenz bei jedem Gag ist furchterregend.
Jede Fratze, die er schneidet, passiert wie eine Eruption. Sie scheint aus sehr dunklen Ecken seiner Psyche zu kommen. Ständig überschreitet er Grenzen. Und ab einer gewissen Stelle in jedem seiner Filmen, die ich bisher gesehen habe, hab ich den Eindruck, die Figur katapultiert sich in ein Eigenleben, das kein Regisseur mehr kontrollieren kann.
"Cable Guy" hat mich gerade
Da fand ich es extrem. Carrey ist das Zentrum dieses Films, der das auch noch durch eine Karaoke-Nummer selbst thematisiert. Die Kamera kreist um ihn und alles im Hintergrund verschwimmt zu Farbflecken. Und Matthew Broderick als sein "Gegenspieler" war selten so schwach. Der könnte viel
Ich habe das Gefühl, das hat Methode: Carrey, der selber nicht wirklich Schauspieler ist, braucht immer ziemlich miserable Nebenakteure, damit sein manieriertes Getue keine ernstzunehmenden Barrieren überwinden muß.
Mit seiner Power könnte er diese Barrieren ohnehin einfach niederwalzen.
In "Batman Forever", wo man ihn in exquisite Schauplätze und Kostüme eingepackt und ihn mit kraftvollen Schauspielern konfrontiert hat, ist er für mich nicht so eindrücklich gewe(hustet)gewesen. (räuspert sich) Uuuups, beinahe verschluckt.
Ja ja, die Flankerl.

carrey als nixe

Was mich so schockiert, ist, wie er seine Figuren anlegt. "Ace Ventura" ist ein tierliebender Detektiv und der "Cable Guy" eine fast bemitleidenswerte Kreatur - aber die Brutalität, mit der er in diese Charaktere seine Komik reinwürgt Nicht, daß ich eine psychologische Motivation dafür bräuchte, ich
Was dich anscheinend so verstört, ist die Kälte, die alle diese Figuren ausstrahlen. Sie sind wie auf dem Reißbrett entworfen, und Carrey spielt sie mit einer derart kalten Präzision, daß eine Identifikation für mich als Zuschauer fast verunmöglicht wird. Du vermißt die Wärme, die du diesen Menschen zugestehst.
Ich wollte sagen: Die psychologische Motivation für den "Cable Guy" war ja von einer abstrusen Dürftigkeit.
Obwohl: Die Idee, einen Charakter zu porträtieren, der ein einziges wandelndes Zitat aus Fernsehmüll ist, fand ich schön. Und wenn er dann, als er versucht, den Fernsehsender zu zerstören, meint: "Irgend jemand muß doch endlich den Babysitter töten", hat das etwas furchtbar Ergreifendes.
Ziemlich blauäugig, zuerst einen ganzen Film auf so einer Figur aufzubauen, um dann schließlich zu sagen: Das Fernsehen hat ihn zu dem gemacht, was er ist, also lest lieber Bücher.
Das waren die perfektesten Sekunden dieses Films, wenn in der ganzen Stadt die TV-Geräte ausfallen und wir die Reaktionen der Zuschauer durchgezappt bekommen. Das ist
doppelbödigstes Hollywood.
Ach wo! Da finde ich es viel perverser, wenn ein Film wie "Cable Guy" den deutschen Untertitel "Die Nervensäge" bekommt oder ein "Multiplicity" mit Michael Keaton zu "Vier lieben Dich" mutiert.
Solange "Crash", der Neue von David Cronenberg nicht mit "Autounfall" übersetzt wird,...


November 96


wir lesen hören schauen linz