BuchFerdl Frühstück

Versammelte Arschgeigen

Ausstellung Kunst und Zensur in Klagenfurt

Von Achatz bis Zilk, von Rockenschaub bis Sinowatz, von ,Kronen Zeitung' über ,Aula' bis ,OÖ Rundschau' und ,Neue Vorarlberger Tageszeitung', von Martin Humer bis zur Ulrichsbergergemeinschaft, alle sind sie versammelt, die Zensoren und Oberzensoren und deren Zentralorgane der Nation und des dumpf ländlichen Hinterlandes. Eine Ausstellung auf der Klagenfurter Uni unter dem Titel "An der Grenze des Erlaubten ­p; Kunst und Zensur in Österreich" führt sie vor, die militanten Kunstfeinde und jene, die glauben, das gesunde Volksempfinden für sich gepachtet zu haben. Jene, die glauben, daß alles was an künstlerischer Produktion geschieht, zumindest linker Unrat ist, und jene die hinter jedem Kunstwerk, das sie meist ohnehin nicht verstehen, Pornographie Sodom und Gomorrha wittern. Eine wichtige Ausstellung, die von Klagenfurter Universitätskulturzentrum UNIKUM organisiert wurde. Gerhard Pilgram, einer der inhaltlichen Betreuer und Organisatoren vermerkt dazu, daß diese Ausstellung keine Solidaritätsveranstaltung für politisch Verfolgte Künstler sei, ihm gehe es vor allem darum, die Methoden der Inkriminierung von Künstlern und Kunstwerken zu durchleuchten. Denn die Schau kann den künstlerischen Intentionen der jeweiligen Werke ohnehin nur unzureichend gerecht werden, daher hat Pilgram thematisch sehr weit gefaßt: Zensurfälle im engeren Sinne; Fälle polizeilicher und gerichtlicher Verfolgung von Künstlern; Versuche von Kriminalisierung von Künstlern; Beispiele politischer und medialer Kampagnen gegen Künstler; Bürgerinitiativen gegen Künstler, Fälle von Gewalt gegen Künstler und Fälle von Behördenwillkür gegen Kunst und Künstler. Es ist eine erklecklich Zahl von Fälle und Dokumentationen zusammengekommen, für die Ausstellungsmacher war es nicht leicht, eine wirkliche repräsentative Auswahl zu treffen. Rund siebzig Fälle sind nun in dieser Ausstellung, die im Freien, auf einer Wiese vor der Universität aufgestellt ist, dokumentiert.

"Eine Zensur findet nicht statt", heißt es im Deutschen Grundgesetz. Ein Satz den Gerhard Ruiss, Vorsitzender der IG-Autoren, in seinem Aufsatz im Ausstellungskatalog aufgreift: "Findet die eine Zensur nicht statt, findet sich schnell eine andere". Denn die Mechanismen und Wirkungsweisen sind vielfältig, wie diese Ausstellung zeigt. Da werden "Verstöße gegen den guten Geschmack" (was immer das ist) und "Verletzungen der öffentlichen Ordnung" geahndet, da werden "Nestbeschmutzer" und "Gesinnungstäter" ob politischen Fehlverhaltens geächtet, "Religionsverhöhner" und "Gotteslästerer" der Herabwürdigung religiöser Lehren geziehen, "Lügner" und "Verleumder" werden wegen Verleumdung und übler Nachrede verfolgt, "Psychopathen" und "Perverse" werden Verstöße wider die guten Sitten und Pornographie angelastet. Hinter all dem steht das nie definierbare, sich immer verändernde "gesunde Volksempfinden", das stets von den übereifrigen Zensoren und hysterischen Aufregern erst produziert wird. Wohl einer der produktivsten "Produzenten" dieses "gesunden Volksempfindens" ist der nicht nur in Oberösterreich hinlänglich bekannte Pornojäger Martin Humer.

Der Zeitraum den diese Ausstellung behandelt ist relativ kurz. Er umfaßt eigentlich nur die zweite Republik und ­p; wenn man will ­p; die beginnende dritte. Wohl aber ist eine bestürzende Kontinuität im Vorgehen gegen unliebsame Künstler und Kunstwerke zu bemerken, obwohl laut Beschluß der Provisorischen Österreichischen Nationalversammlung von Oktober 1918 "jede Zensur als dem Grundrecht der Staatsbürger widersprechend als rechtsungültig aufgehoben" wurde. Unter die Grund- und Freiheitsrechte der Österreichischen Bürger wurde die "Freiheit der Kunst" freilich erst im Mai 1982 aufgenommen. Was freilich nichts an den staatlich autorisierten und privat vorgetragenen Übergriffen gegen Kunst und Künstler geändert hat, somit auch nicht an der ganz besonders wirksamen Form der Selbstzensur, einer subtilen Folgeerscheinung der Angriffe gegen die Kunst.

Die Auswahl aus den unzähligen dokumentierten Zensurfällen ist bestens gelungen. Von Aktionen der Staatsgewalt, die selbige nur vorführen und der Lächerlichkeit preisgeben, reicht die Palette bis zu massiven Attacken gegen Künstler mit Gefängnisstrafen und mehr. Unsere heutige Staatsgewalt steht da der deutschen Polizei und Gerichtsbarkeit von 1894 um nichts nach, die Oskar Panitza, den Autor des satirischen Theaterstücks "Das Liebeskonzil", das den päpstlichen Lebenswandel in der Renaissance mit dem Auftreten der Syphilis in Zusammenhang brachte, ihn zu einem Jahr Einzelhaft verdonnerte, später das Vermögen des Autors beschlagnahmte und schließlich nach seiner Entmündigung bis an sein Lebensende in Irrenanstalten und Sanatorien anhielt. Beispielsweise als die Künstler Günther Brus, Otto Mühl, Peter Weibl, Oswald Wiener 1968 auf Einladung der Sozialistischen Österreichischen Studenten bei einer Veranstaltung unter dem Titel "Kunst und Revolution" auftraten drehte das Wiener Bürgertum und der repressive Teil des Staatsapparats fast durch. Im Verlauf dieser Veranstaltung führte Günther Brus eine Körperaktion durch. Er entkleidete sich, schnitt sich mit Rasierklingen und urinierte in ein Glas. Trank seinen Urin, beschmierte sich mit Kot und begann zu onanieren. Dazu singt er die österreichische Bundeshymne. Diese Aktion löste eine Kampagne der Boulevardpresse aus, die ihresgleichen sucht. Brus, Mühl und Wiener werden verhaftet und verbringen vier Wochen in Untersuchungshaft. Brus erhält in der U-Haft Briefe mit Morddrohungen, Wiener Bürger starten eine Unterschriftenaktion um zu erreichen, daß Brus' Tochter in die Obhut der Fürsorge kommt. Bei der Gerichtsverhandlung gegen Brus wird ihm ein Pflichtverteidiger gestellt, weil sich kein Anwalt findet, der diesen "Fall" übernehmen möchte. Brus wird wegen Herabwürdigung der Staatssymbole zur Höchststrafe von sechs Monaten schwerem Kerker verurteilt, in zweiter Instanz wird die Strafe auf fünf Monate reduziert, zugleich aber durch Fasttage und hartes Lager verschärft. Brus kann sich dieser Strafe durch die Flucht nach Berlin entziehen. Dort gründet er die "Österreichische Exilregierung" mit ihrem Zentralorgan "Die Schastrommel". Schwerer Kerker, Fasttage und harte Lager für das Absingen der Bundeshymne beim Onanieren. Ein Vorgehen gegen Künstler das man eher im metternischschen Repressionsstaat vermutet hätte, als in der ach so demokratischen zweiten Republik. Aber auch symptomatisch für den Umgang mit Kunst. Das Bürgertum, aber auch seine Politiker, war gewiß bis in Mark erschüttert, und glaubte wohl, daß es ihm nun endgültig an den Kragen ginge. Insofern ist diese Ausstellung wohl auch eine Schau, die zeigt, was Kunst und Provokation durch Kunst zu leisten vermag. Hoffentlich ein Anstoß für angepaßt und müde gewordene Künstler und Kulturvermittler das eigene immer mehr dem herrschenden Kunstverständnis angeglichene Tun zu hinterfragen.
Oberösterreich ist in dieser Ausstellung verhältnismäßig stark vertreten. Angefangen von der Linzer Großerregung zur Forum-Metall-Nike auf dem Dach der Kunsthochschule, über rockenschaubische Angriffe gegen die Kupf, freiheitlichen und pornohumerischen Angriffen gegen das Theater Phönix bis zu christlichfundamentalistischen Entrüstungen über Karikaturen von Gerhard Haderer.
Insgesamt eine äußerst sehenswerte Ausstellung, die ihren Weg auch nach Linz finden sollte. Denn es geht nicht nur um eine wehleidige "ach-wie-arm-und verfolgt-sind-wir-Künstler-Haltung".
Diese Ausstellung ist vor allem witzig, weil einfach auch eine ganze Reihe guter Ideen und Aktionen dokumentiert sind, die den Biederbürgern und deren Repräsentanten ordentlich in die Glieder gefahren sind.
Ferdl Frühstück


November 96


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