Andreas Weber's

NACHTSPIEL

"Es gibt keine jungen Erzähler mehr." ist eins der hartnäckigsten Gerüchte, das sich in der Literaturkritik hält. Wohl wirklich nur ein Gerücht, wenn man Andreas Webers "Nachtspiel. Acht Erzählungen in einer Landschaft" liest. Die Form der Erzählung ist wohl wirklich nicht sehr beliebt, ist sie doch eine der unspektakulärsten Formen. Autoren, die sie beherrschen, erreichen meist wesentlich größere Dichte und Intensität als in Ihren Romanen. Als Beispiel sei hier nur King Boris Vian angeführt, dessen kurze Geschichten wie Konzentrate oder Essenzen der Romane wirken.

andreas weber"Acht Erzählungen in einer Landschaft" hat Andreas Weber seine Geschichten unterbetitel. Die englische Landschaft um die Städte Ifracombe, Barnstaple und Woolacombe ­p; der Autor hatte diese Gegend mehrmals bereist und sich auch beruflich dort aufgehalten ­p; bildet allerdings nur die Klammer, die diese Geschichten zusammenhält. Im Zentrum dieser Erzählungen stehen Menschen, deren Biographien sich manchmal kreuzen, meist aber nebeneinander verlaufen. Für andere Autoren wäre das wohl ein Grund, alles unter dem Titel Roman firmieren zu lassen. Weber beläßt es bei Erzählungen, wohl wissend, daß er die einzelnen Geschichten in Rhythmik, Tempo und Dynamik viel besser entwickeln und zur Wirkung kommen lassen kann, sprachlich und gestalterisch genauer den Geschichten entsprechend arbeiten konnte.

In der ersten Erzählung in diesem Band, "Hunger", bedient sich der Autor einer knappen, reduzierten, fast journalistischen Sprache. Sie ist gewissermaßen der Aufriß von Landschaft und Menschen, ihren Widersprüchen und Verhältnissen. Ein Intro, das schon ahnen läßt, daß es in den folgenden Erzählungen mehr als um Landschafts- und Menschenbetrachtungen geht und auch zeigt, daß Weber ein genauer Beobachter ist, der nicht an Oberfläche und Image hängen bleibt.
Eine der stärksten Geschichten in diesem Band ist wohl "Der Springer", die Geschichte des Tischlers John Smith, der, im Zuge der thatcheristischen Privatisierungen arbeitslos geworden, nach langer Zeit erstmals eine Auftragsarbeit erhält. Eine völlig sinnlose überdies, die, wie die Leser/innen im Fortgang der Geschichte erfahren, auch noch völlig umsonst war. Das Interessante an dieser Erzählung ist sicherlich auch die Dramaturgie der Geschichte - man ahnt früh schon den tragischen Ausgang. Mehr noch packt die Veränderung der Haltung und der Meinungen des Tischlers und seiner Frau, die früher klar auf Labour-Linie waren, aber im Zuge der Privatisierungen auch zu einigen Aktien ihres ehemaligen Betriebs gekommen waren. Mithin sind sie doch selber Aktionäre und somit logisch Parteigänger der Tories. Weber schreibt diese Geschichte ohne sozialromantischen Touch, ohne klägliches Lamento über die bewußtseinsmäßigen "Verirrungen" in das Lager der Gegner. Zynismus mögen ihm manche vorwerfen; doch der Autor hat die Working Class Heroes einfach so beschrieben, wie sie wirklich sind. Und das nicht nur im England der Tories.

"Nachtspiel", jene Erzählung, die dem Band den Titel gegeben hat, ist einer der schönsten Texte in diesem Buch. "Die Welt sah zu, als das Leben Mark Shepherds sich wendete, doch die Zuseher übersahen diese Wende" beginnt der Autor die Geschichte über den schier unaufhaltsamen Abstieg des Fußballstars von Tottenham Hotspur, der bei einem Länderspiel einen Hattrick im Vergeben hundertprozentiger Chancen schaffte.
Keine Nominierung mehr für das Nationalteam, Ersatzbank bei den Hotspurs, Verkauf an einen Zweitdivisionär, Ersatzbank. Schier schicksalhaft und unabwendbar scheint der weitere fußballerische Abstieg. Rückzug nach Barnstaple, schließlich Ilfracombe. Kleinbürgerliches Leben als Wirt, Ehe, Kinder ­p; ohne Fußball. Unzufriedenheit. Bis er eines Tages nächtens aufwacht, auf den örtlichen Fußballplatz geht und dort, alleine, das Fußballspiel seines Lebens spielt. "Von diesem Tag an lebte die Familie Shepherd wieder in jenem übersichtlichen Glück, das den Erwartungen ihrer Mitglieder ideal entsprach", läßt der Autor die Geschicht ausgehen, und den Leser/innen offen, ob dies nicht doch eine Spitze gegen die gängigen Glücksvorstellungen ist. In dieser Geschichte offenbart Weber wohl auch seine philosophische Haltung als Existenzialist am genauesten. Aber das Camus'sche Da-muß-man-wohl-oder-übel-Durch durchzieht auch alle anderen Erzählungen wie ein roter Faden.

Eine großartige Entdeckung auf dem weiten Feld der Prosa!

Andreas Weber: Nachtspiel.
Acht Erzählungen in einer Lanschaft.
Bibliothek der Provinz, Wien, Linz, Weitra, München 1996

Ferdl Frühstück

Oktober 96


wir lesen hören schauen linz