Der Gibling ist ein Treibling


Das warenproduzierende System, der Kern des landläufig auch Kapitalismus genannten Systems, kann ohne Krisen nicht existieren; nur diese Krise in der jetzigen Zeit, bzw. der letzten zwei drei Jahrzehnte, ist eine besonders heftige und destruktive. Ohne tiefgehender theoretischer Analyse ist instinktiv spürbar, dass es gewaltig kracht im Gebälk. Ganz besonders werden die Obszönitäten eines anscheinend sich verselbständigten Finanzkapitalismus weidlich zur Ergötzung freigelegt, um sich am Augenscheinlichen abzureagieren. Die meisten geben dem Geld an sich, in der Gestalt der ungezügelten Finanzmärkte insbesondere, die Schuld für die Zerstörungen, Verarmung, Verschuldung, Umwelt usw. In solchen Zeiten entstehen Projekte, Ideen, Aktionen, um sich gegen dieses System praktisch oder symbolisch zur Wehr zu setzen, um nicht tatenlos ohnmächtig dazustehen.

Ein Projekt, das versucht, Erscheinungen des Finanzkapitalismus praktisch, aktionistisch und symbolisch zu konterkarieren ist die Communitywährung „Gibling“, – initiiert von AktivistInnen im Umfeld der Stadtwerkstatt Linz und mitgetragen von nun schon vielen Kultur- und Szeneeinrichtungen. Geistiger Ausgangspunkt für derartige Konzepte von Regionalwährung, in diesem Fall Sektoralwährung, ist die Freiwirtschaftslehre von Silvio Gesell, die in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts in verschiedener Weise Einfluss auf das wirtschaftliche Denken hatte und insbesondere auf die krisenhaften Prozesse in den 1920 er Jahren mit dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise 1929 reagierte.


Der Zins sei das Übel …

Als Kern des Übels wurde von Gesell der Zins ausgemacht und die wirtschaftlichen Krisen seien die Folge davon. Wegen des Zinses wird Geld gehortet und es ist dadurch ein Einkommen ohne Leistung, das unter schlechten Investitionsbedingungen wie höheren Zinsen nicht in den Produktions- und Konsumtionskreislauf eingespeist wird, was Produktion und Handel zum Erliegen bringt, Arbeitslosigkeit und soziale Verelendung nach sich zieht. Darum sei ein zinsfreies Geld notwendig, das das Zaubermittel für eine prosperierende Wirtschaft sei. Die Geldbesitzer, die mit den Zinsen Geld verdienen ohne was zu leisten, haben darüber hinaus auch noch eine besonders privilegierte Machtstellung; – weil alle Menschen Geld brauchen, um Waren zu tauschen, sind sie auf das Geld angewiesen und müssen den entsprechenden Zins zahlen. Mit dem zinsfreien Geld wird ihre Machtstellung gebrochen; das Geld kann zinsfrei in die Produktion und den Konsum laufen; es wird investiert und konsumiert; – die „Wirtschaft“ floriert, – so die Ideologen der Freiwirtschaft.

Analog zum Gesellschen Freigeld steckt im Gibling die Idee: Geld muss ausgegeben werden, nicht gehortet werden, in Umlauf gebracht werden, um den Kultur- und Szenesektor anzukurbeln und darüberhinaus identitäre Prozesse mit zu initiieren. Der Gibling ist mit einem jährlichen Ablaufdatum versehen; für den Gibling Besitzer besteht der Zwang, innerhalb eines Jahres, den Gibling auszugeben, sonst verfällt er. Warum der Gibling, wie die InitiatorInnen behaupten, deswegen in Widerspruch zum kapitalistischen Wettbewerbssystem stehen sollte, ist nicht nachvollziehbar. Intendiert ist mit der Euro-Parallelwährung Gibling ja ein Hinlenken von Geldströmen in Form des Giblings auf die Kultur- und Szenewirtschaft, eine Ankurbelung dieses Sektors und damit ein Wachstum, das ja für die meisten ein Übel des kapitalistischen Systems darstellt. Und da im Kapitalismus Konkurrenz, die private Produktion, jeder gegen jeden, das als Freiheitsprinzip beschönigt wird, vorherrscht, wird der Wettbewerb unter der Szenewirtschaft verschärft und nicht verhindert, wie es die Giblinge in ihrer guten Absicht bewerkstelligen wollen. Der Gibling ist ein Treibling, ein Antreiber der Produktion und der Konkurrenz und nicht ein Verhinderer des Wettbewerbs. Natürlich hat der Gibling praktisch kaum eine Relevanz, als solcher wurde er wahrscheinlich auch nicht konzipiert, aber gedanklich ist er nicht so harmlos und gut wie er vorgibt. Auch von Gesell war das zinsfreie Geld als Antreiberin in der Produktion und in weiterer Folge auch des Marktes gedacht, sogar soweit gehend, dass sich die Fittesten durchsetzen würden und die Schwachen selektiert werden.

Die Paradoxie des Freigeldes, der Regionalwährungen, würden sie auf das System insgesamt angewendet werden ist ja, dass die beabsichtigte Abschaffung des Zinses, der anscheinend der hauptsächliche Verursacher der Krise ist, im Produktionsbereich das Wachstum und die Konkurrenz geradezu entfesseln würde, weil es z.B „billiges“ zinsfreies Kreditgeld für betriebliche Investitionen gibt. Jeder kapitalistische Unternehmer würde freudig zugreifen und auf Teufel komm raus investieren, so die Logiker des Freigeldes: die Wirtschaft würde wachsen, die Leute hätten über die Lohneinkommen wieder Geld, auch der Staat hätte über die Steuern mehr Einnahmen; die Zeiten würden wegen des zinsfreien Geldes rosig werden. Diese schöne Rechnung wird aber ohne den kapitalistischen Wirt gemacht; denn die Konkurrenz und die blinde Privatproduktion sind ja deswegen nicht ausgeschaltet. Der ganze kapitalistische Schwachsinn würde sich mit dem zinsfreien Freigeld ähnlich reproduzieren, weil der Zins nicht das Problem ist. Heute sind die Zinsen niedrig wie noch nie, es wird sogar von Negativzinsen gesprochen, d.h. es werden Zinsen für das Leihen von Geld bezahlt, und trotzdem liegen ganze Volkswirtschaften danieder und Unternehmen investieren nicht, obwohl ihnen das Geld billigst zur Verfügung stünde: weil das Kriterium für produktive Investitionen nicht der Zins ist, sondern der zu erwartende Profit, der wiederum auf der möglichst billigen Arbeitskraftvernutzung, dem Produktivitätsvorsprung gegenüber der Konkurrenz und der möglichen Absetzbarkeit der Waren beruht.


immer wieder das böse Finanzkapital

Es war kein Zufall, dass die Ansichten von Gesell in der Krise der 1930er Jahre bei verkürzten antikapitalistischen Strömungen auf fruchtbaren Boden fielen. Das Zinskapital wurde als das raffende Kapital hingestellt und das „gute“ Kapital als das „schaffende“, das unter der Zinsknechtschaft der Juden erwürgt würde.

Die Wut auf den Finanzkapitalismus mit seinen augenscheinlichen Auswüchsen wie obszön hohen Boni Zahlungen, Spekulationen, Auspressen ganzer Volkswirtschaften, u.ä. ist heute weit verbreitet. Von vielen wird er für die Krise verantwortlich gemacht. Der aufgeblähte sich gegenüber der „Wirtschaft“, Produktion verselbständigte Finanzüberbau drohe diese zu drosseln, fehlzuleiten, auszuweiden und die Finanzkapitalisten fielen wie die Heuschrecken über die „braven“, wirklich Arbeit schaffenden Unternehmen her. Die Logik des warenproduzierenden Systems, des Kapitalismus ist ja mit dem aufgeblähten Finanzkosmos nicht außer Kraft gesetzt, vielmehr ist das System Ware, Geld, Lohn, Kapital, Staat, Markt damit an seine absolute Grenze gestoßen; das System hat die Welt erobert, ist global geworden, eine weitere Ausdehnung ist nicht mehr möglich. Die Wachstums- und Rentabilitätsmöglichkeiten in der Produktion und damit des Profits daraus sind zum Erliegen gekommen, einerseits durch den riesigen Produktivitätsschub durch neue Technologien, insbesondere Mikroelektronik, und der Begrenztheit des Globus selbst. Die abstrakte, wertschaffende Arbeit verlor durch die rasante technologische Intensivierung des Produktionsprozesses dramatisch an Bedeutung gegenüber dem Sachkapital, bzw. fixen Kapital, diese Arbeit aber ist entscheidend für den Mehrwert und im weiteren für den Unternehmensgewinn. Die Quelle des Mehrwerts, die abstrakte Arbeit als wertproduktive Arbeit versiegt immer mehr. Dabei können auch die vielen neu geschaffenen Arbeitsplätze in den Dienstleistungen und in der sogenannten immateriellen Arbeit nicht hinwegtäuschen, weil sie in der Regel nicht wertproduktiv und damit nicht mehrwertschaffend sind, nicht profitabel sind.

Da die Profite in der Warenproduktion nicht mehr so reichlich flossen wie bis in die 1970er Jahre hinein, im sogenannten scheinbar goldenen fordistischen Zeitalter, begann das Kapital auf die Finanzmärkte auszuweichen, was mit dem Entstehen des Neoliberalismus einhergeht und seither das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben prägt. Die gigantische Aufblähung des Finanzsektors ist nicht eine Folge von gierigen Finanzhaien, einer willfährigen Politik, die mit der Deregulierung die Hindernisse aus dem Weg räumte, sondern Ursache waren die heruntergedrosselten Profitmöglichkeiten in der Warenproduktion. Die Deregulierung funktionierte wie ein offeneres Ventil, durch das die Gewinne in die Finanzsphäre viel leichter strömen konnten. Ein bestimmtes institutionelles Eigenleben ist den Finanzmärkten nicht abzusprechen, auch ein relatives Abgehobensein gegenüber der kapitalistischen Warenproduktion, der so (oft positiv gesehenen) Realwirtschaft, wo anscheinend durch Arbeit die Güter geschaffen werden. Aber das Abgehobensein hat ihre Grenzen: so vielfältig und verwirrend sich die „Finanzwirtschaft“ augenscheinlich gebärdet, kommt sie ohne Rückkoppelung zur Warenproduktion, Realwirtschaft nicht aus, weil nur hier über die abstrakte Arbeit, Wert und damit „echtes“ Geld geschaffen wird. Die riesige Menge Geld in der Finanzindustrie, auch fiktives Kapital genannt, bezieht ihre Legitimation, Deckung durch den Verweis auf mögliche zukünftige Erträge, und sei die Zukunft auch noch so zukünftig; - können diese Erträge nicht realisiert werden, kommt es zur Entladung bzw. Entwertung des fiktiven Kapitals und zu krisenhaften Prozessen, wie wir sie zur Zeit erleben.


und immer wieder die menschliche Gier

Schnell sind dann auch die Schuldigen gefunden, – die gierigen Banker, verantwortungslose Finanzhaie, Abzocker, Spekulanten, die schwachen Politiker, die nicht Grenzen setzen, usw. Schuld wird personalisiert, was natürlich zur Konsequenz hat, sich an diesen Personen, Personengruppen, abzureagieren, wenn der Krise Einhalt geboten werden soll. Dass Personen, insbesondere wenn sie ausgesprochene Träger von Kapitalfunktionen sind, zuerst einmal Charaktermasken dieser sind, nicht individuell schuld sind, mag den mit dem üblichen Gefühlshaushalt ausgestatteten Menschen im Kapitalismus nicht gefallen, die mit ihren moralischen Kategorien dagegen ankämpfen. Eigenschaften wie Neid, Gier, Rücksichtslosigkeit, Verantwortungslosigkeit, Verkommenheit, usw. werden der dunklen Seite des Menschseins angedichtet, statt zu begreifen, dass die Hervorbringung dieser Eigenschaften den systemischen Kategorien wie Konkurrenz, blinder unpersönlicher Vermittlung der Menschen untereinander durch abstrakte Arbeit, Geld und Kapital geschuldet sind. Die Menschen werden vom System gezwungen, Arschlöcher zu werden und es ist nicht zuerst eine Frage ungustiösen moralischen Haushalts der Menschen an sich. Ganze Heerscharen von Systemapologeten sind tagtäglich damit beschäftigt, Moral zu ontologisieren, den Menschen irgendwas anzuhängen, seitdem sie von den Bäumen heruntergestiegen sind, um von den Zwängen dieses Systems der Menschenverwertung , die die Menschen ins Unglück stürzen, abzulenken und ihnen schlechte Charaktereigenschaften menschheitsgeschichtlich und persönlich anzudichten. Natürlich kann und muss dieser Selbstlauf des Systems gebrochen werden, aber nicht durch irgendwelche avantegardistischen Kollektivsubjekte, die nur was verbessern wollen, sondern durch Verweigerung und Ausstieg aus dem System selbst. Zur Zeit arbeitet das System ohnehin relativ blind an ihrer eigenen Selbstzerstörung, was ja Menschen-, Gesellschafts- und Weltzerstörung bedeutet. Die vielbeschworene „unsichtbare Hand“, die anscheinend letztendlich alles irgendwie zum Guten für die Menschheit steuern soll, war von Anfang an eine blind um sich schlagende Hand, heute ist sie eine monströse Pranke, die die Welt zerschlägt. Mehr Elend und ungeheuerliche Vernichtung als dieses System des Kapitalismus hat noch nie eine Gesellschaftsformation vorher zustande gebracht; eingeredet werden soll uns das Gegenteil.

Da der Glaube, über mehr guten politischen Einfluss, oder es müssten halt die guten Leute an die Macht kommen, was zu verändern, verloren gegangen ist – und auch mit gutem Grund –, entstehen vielfach Initiativen, die der Logik des Systems der selbstzweckhaften Geldverwertung, etwas entgegensetzen wollen. In diesen Sinne kann im Gibling der positive moralische Überschuss, dem System etwas entgegenzusetzen, höher bewertet werden als seine logischen Inkonsequenzen.

Franz Primetzhofer