Tonga - Musik im Toten Gebirge
- eine Expedition
ein Beitrag zum
FESTIVAL der REGIONEN 1997
zu KUNST.ÜBER.LEBEN
Ein Konzept von
Georg Ritter (Stadtwerkstatt)
Gotthard Wagner (Sunnseitn)
in Zusammenarbeit mit
Keith Goddard (Kunzwana Trust)
Peter Kuthan (Österreich-Zimbabwe-Freundschaft)
1-Tonga Musik im Toten Gebirge
2-Expedition
3-Campfire
4-Tongakunst - von Peter Androsch
5-Tonga: Kultur und Überleben - von Keith Goddard
Tonga Musik im Toten Gebirge
Das Festival der Regionen 1997 "KUNST.ÜBER.LEBEN" ist Gastgeber
der Region Binga Zimbabwe/Afrika, in der das Volk der Tonga angesiedelt
ist. Die Tonga, ursprünglich im fruchtbaren Zambesital beheimatet,
wurden 1957 in Zuge des Karibastausee in eine unwirtliche Halbwüste
vertrieben. Sie haben dennoch bis heute ihre kulturelle Eigenständigkeit
nicht verloren. Kunst und Kultur sind für Tonga einziges Überlebensmittel.
Die Überquerung des Toten Gebirges in einem Troß mit großen
Trommeln, Hörnern, Tanz und Gesang stellt den Kontext zur Über.Lebens.Situation
der Tonga her. Sie bietet einen Rahmen, der die spirituelle Kraft ihrer
Musik und Zeremonien erfahrbar macht. Diese Expedition von AfrikanerInnen
in einer OÖ. Berglandschaft thematisiert in künstlerischer Art
und Weise den Nord-Süd-Gegensatz.
Die Festivalsinteressierten:
- sind aufgefordert sich dieser Expedition anzuschließen, mitzugehen,
und mitzumachen.
- sind geladen an einem abschließenden Campfire - Fest der Begegnung
am Feuer - teilzunehmen (Performancefeld ca. 300 x 100 m).
- werden durch die Medien über den Verlauf der Expedition aktuell informiert.
Der medial aufgebaute Mythos - "große Trommel im Toten Gebirge,
Schwarze durchqueren mit weißem Troß ein Kernland weißer
Zivilisation" provoziert eine Expedition im Kopf der Bevölkerung.
Ein Gruppe von 30 TONGA -5 Trommler, 15 Hornbläser, 10 Sänger-
und Tänzerinnen- überquert mit ihrer großen Trommel das
Tote Gebirge in Begleitung von Bergführern, einer Herde Ziegen, JournalistInnen,
Saum-pferden/Lamas/Mulis, ÜberlebenstechnikerInnen mit Afrikaerfahrung,
Funktechnikern, medizinischer Betreuung, Kameraleuten, Literaten, Musikern,
Komponisten und sich anschließenden FestivalsteilnehmerInnen. Bei
den Hütten und geeigneteten Rastplätzen werden vom Tonga-Orchester
Konzerte gegeben.
Der Weg führt durch die karstige Gebirgslandschaft des Toten Gebirges,
in der Wasser Mangelware ist und nur spärlich Vegetation vorkommt -
Bedingungen, welche die Tongas auch in ihrer Heimat vorfinden. Dieses steinige
Gebiet ist Rahmen der Begegnung zwischen Festivalsgästen und der Tonga
Musik.
Die Expediton erstreckt sich über sechs Tage. Der Aufstieg erfolgt
von Hinterstoder aus und führt über das Tote Gebirge zum Offensee
bei Ebensee. Täglich wird ca. 5 - 6 Stunden gewandert. Die Tagesetappen
führen von Hütte zu Hütte, nur in der Nacht bei der Schutzhöhle
wird im Biwak übernachtet.
1. Etappe Aufbruch · Hinterstoder - Steyr Ursprung - Hinterstoder
2. Etappe Aufstieg I · Hinterstoder - Prielschutzhaus
3. Etappe Aufstieg II · Prielschutzhütte - Klinser Scharte
- Schutzhöhle
4. Etappe Gipfel · Schutzhöhle - Fleischbanksattel - Grosser Priel
- Pühringerhütte
5. Etappe Übergang · Pühringerhütte - Schlund -
Albert Appelhaus
6. Etappe Abstieg · Appelschutzhaus - Wildensee - Rinnerkogelhütte
- Offensee
Am Abend werden die Tonga-Zeremonien abgehalten. Bestandteile sind Trommel-
und Hornperformances, Gesang und Tanz der Frauen, Schlachten und Kochen
einer Ziege am offenen Feuer, mit Mais, Reis und Hirsebrei und Getränk.
Absicht ist es die Tonga in einen extremen Lebensraum, in die kargste Landschaft
Oberösterreichs zu stellen,
· um ihre Lebensituation in Zimbabwe augenscheinlich zu machen.
· um den Tonga, die frei in der Natur leben, für ihre Musik und
Zeremonien ein entsprechendes Ambiente zu geben
· um das Publikum aus seinem Alltag herauszulösen
· um in einer ungewöhnlichen Umgebung eine umgewöhnliche
Begegnung mit Kunst und Kultur einer afrikanischen Minderheit zu initiieren
· um Publikum und Künstler direkt einander bekannt zu machen
Die Tonga verabschieden sich am Ende der Expedition mit einem Fest, das
sich vom Nachmittag bis in die Nacht zieht. Dabei wird auch jenen, die sich
nicht an der Expedition beteiligen konnten, die Möglichkeit geboten
Musik und Zeremonie mitzuerleben. Gestaltungsprinzip des Festes: Die Bewegung.
Das Festgelände wird mit unterschiedlichen Feuerstellen erhellt. Von
Zeit zu Zeit wechseln die Bestandteile des Festes ihre Position, auch das
Feuer. Mit Feuer wird in der Landschaft gezeichnet : Linien-, Kreis-, Punkt-,
Kugelfeuer und Feuersäule.
Es geht um die Unmittelbarkeit der direkten Begegnung. Die kulturellen Auslebungen
der Tonga- vor allem der Frauen - sind höchst integrativ, es gibt keine
Situationen hier Künstler da Zuschauer, sondern ein musikalisch/ tänzerisches
Beackern energetischer Felder. Die Feiern werden durch alle Anwesenden getragen,
Trommel-, Horngruppen und Tänzerinnen wechseln fallweise ihren Standort,
schwärmen auseinander und konzentrieren sich wieder an verschiedenen
Punkten in der Landschaft. Das Festgelände wird so angelegt sein, daß
auch für eine größere Besucherzahl ausreichend Platz ist.
Es gibt keine Musik ohne Tanz, einfache Tanzschritte werden vermittelt.
In den Augen des Europäers ist das Performanceart in unmittelbarer
Fortführung uralter Traditionen. Die musikalischen Elemente sind archaisch
und avantgardistisch zugleich. Die Musik der Männer bricht in ihrer
Radikalität mit jedem Afrikaklischee.
BEGEGNUNG
Durch die Einladung beim Festival der Regionen wird den Tonga erstmalig
eine direkte Begegnung mit europäischer Kultur ermöglicht (die
Tonga waren noch nie außerhalb ihrer Siedlungsgebiete entlang des
Kariba Stausees, diese Begegnung ist somit eine Welturaufführung).
Andererseits können Festivalbesuchern an einer der ursprünglichsten
Formen von Kultur selbst teilhaben, Formen, die noch keine Trennung von
Kunst und Kultur kennen.
Dieses Ereignis soll bekräftigen daß das Zitat Ernst Blochs :"Die
Kunst ist das Mittel zum Leben - also Lebensmittel" nicht nur intellektuelles
Statement ist, Kunst und Kultur sind im Falle der Tonga das einzig zur Verfügung
stehende Mittel zu überleben. Sie sind die Identität dieser Region,
dieses Volkes. Unserer zivilisierten Kultur wird ein Spiegel vorgehalten
in dem der Blick freigemacht wird zu einer ursprünglichen Form von
Kultur. Diese Konfrontation schärft. Diese Einladung ist eine Wertschätzung
der Kultur der Tonga, die selbst in Zimbabwe als Außenseiterkultur
diffamiert wird.
Die 30 Tonga werden sich während der Zeitdauer des Festivals in Oberösterreich
aufhalten. Nach der Expedition steht den Tongas eine geeignete Anlage als
Camp zur Verfügung. Von dort aus werden Tagesausflüge gestartet
um Oberösterreich kennenzulernen und gegebenenfalls Festivalveranstaltungen
zu besuchen.
PARTNERSCHAFT:
Kernziel dieses Austausches ist die Unterstützung der Tonga bei der
Verwirklichung ihrer Bildungsinhalte: Da die Tongas keine eigensprachlichen
Unterrichtsmittel haben, und keine Tongalehrer bezahlt werden können,
ist es notwendig für den Erhalt der Kultur, Unterrichtsmittel in Tongasprache
zu produzieren und Tongalehrkräfte zur Verfügung zu stellen.
Nahziel ist die Errichtung eines Fonds in den ein Teil der Gage der eingeladenen
Künstler, die Gewinnspanne aus dem Verkauf von Kunstprodukten der Tonga,
ein Teil der Eintrittskarten bei Tongaveranstaltungen oder auch sich solidarisch
erklärender Festivalprojekte und Spenden fließen.
Fernziel ist die Bildung von Regionspartnerschaften zwischen Oberösterreichischen
Regionen und Tonga Regionen. Weitere Fonds zu gründen zur Lösung
kultureller überlebensnotwendiger Fragen.
MEDIEN UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT - Expeditionen im Kopf
Die mediale Aufbereitung dieses Ereignisses soll:
· in der klassischen Form der Berichterstattung in Radio, Fernsehen
und Zeitung
erfolgen.
· durch Hintergrundinformationen bereichert werden:
z.b. Berichte zur Vertreibung aus dem Paradies der Tonga und den heutigen
Lebensumständen.Kultur als Überlebensmittel zu Zeiten extremer
existentieller Bedrohungen. Fakten, Daten und Prognosen zu Nord - Süd
Konflikt. Die Auseinandersetzung mit dieser Kultur provoziert auch die Frage
nach unseren Stammeskulturen und deren noch (über) lebenden Spurenelementen.
· durch Liveübertragungen von markanten Punkten der Expedition
z.b. Tonga am Gipfel des großen Priel. Live Einspeisungen in FS O.Ö.
und Internet (see you, see me. Real Audio).
JournalistInnen sind eingeladen Informationen aus dem direkten Kontakt mit
den Tonga zu gewinnen.
Von Peter Androsch
Die Geburt eines Höllenlärms. Wirr laufen die Männer durcheinander,
dabei immer einen Menschen-klumpen bildend, der sich durch die Steppe bewegt,
hin und her wogt, sich teilt und wieder schließt. Einige schlagen
nach keinem nachvollziehbaren Muster mit höchstem Krafteinsatz auf
die Riesentrommeln ein, die von jeweils zwei anderen im Haufen mitgeschleppt
werden. Die anderen, die in die Hörner blasen, ziehen individuelle
Bahnen in der Gesamtbewegung. Danebenstehend denke ich, ein musikalischer
Kugelblitz. Laut wie Heavy-Metal, unentwirrbar. Alles kommt mir in den Sinn.
Es ist einfach, als ob mir jemand eine linke Gerade versetzt. Kein Zögern,
kein Zaudern, Zack. Langsam komme ich wieder zu mir, sammle meine Sinne
und versuche wahrzunehmen, was ich höre und sehe. Das Instrumentarium,
vielleicht fünfundzwanzig bis dreißig Hörner verschiedener
Größe, aus welchen jeder Spieler vielleicht zwei, höchstens
drei verschiedene Töne hervorpreßt, und die Trommler vielleicht
fünf an der Zahl. Ich finde kein gemeinsames Zeitmaß, keinen
Puls, keinen Rhythmus. Allmählich glaube ich zu erkennen, daß
es unter den Bläsern verschiedene Gruppen oder "Familien"
gibt, die aus Hörnern unterschiedlicher Dimension bestehen. Von ganz
klein bis ganz groß. Sie scheinen jeweils ein Tempo zu spielen, gemeinsame
Figuren, erkennbare musikalische Phrasen, Kürzel in ihrer jeweiligen
Gesamtheit aus vier, fünf oder sechs Spielern zu formen. Den Trommlern
kann ich im Moment keine andere Aufgabe zuweisen, als jedes möglicherweise
aufkommende Tempo, oder sogar Metrum sofort wieder zu zerstören.
Was ist ein Metrum, frage ich mich, oder ein Puls, ein Takt? Das ist doch
nichts anderes als der kollektive Versuch, die Zeit in gleich bleibende,
unabhängig von der individuellen Befindlichkeit gleich bewertete Teile
zu teilen, dies durch die Einigung auf Betonungen, auf Hebungen und Senkungen,
zu einem Metrum werden zu lassen. Vorher muß es allerdings die Einigung
auf ein Zeitmaß geben. Was ist, wenn Zeit nicht so beurteilt wird,
wenn es keine kollektive Einigung auf einen Zeitkompromiß, auf ein
Zeitmaß gibt, weil es gar nicht notwendig ist. Gibt es hier eine Vielzahl
parallel bestehender Individual- oder Familienzeiten, Formen der Organisation
des Kontinuums? Eine der Hauptfragen der Musik ist immer die Behandlung,
die Rasterung des Kontinuums. Was sagt Asynchronität, was sagt Polyrhythmik.
Nichts, denke ich im Baumkronenschatten den Wahnsinn in mich eindringen
lassend. Nichts, denn beide Begriffe gehen vom Konstrukt der Regel-Mäßigkeiten
der Zeit aus. Asynchronität heißt ohne Synchronität nichts.
Polyrhythmik heißt ohne Rhythmik nichts. Und den Begriff der Rhythmik,
vorher schon der Metrik gibt es ohne die kollektive Einigung auf ein Zeitmaß
nicht. Hier scheint mir das Kollektive nicht der Kompromiß der Individuen
zu sein, sondern eher die Summe, vielleicht nicht der Individuen, sondern
der Familien zu sein.
Tatsache wird für mich, inzwischen durch den bewegenden Haufen den
Weg bahnend, um mehr Details zu erhaschen, daß das meiste Handwerkszeug
der Musikanalyse, das mir gegeben ist, unbrauchbar ist. Selbst der Begriff
der Ungleichzeitigkeit, oft gebraucht in der zeitgenössischen Musik,
geht fehl. Eine Gesellschaft, die keiner Gleichzeitigkeit bedarf, kennt
auch keine Ungleichzeitigkeit. Nicht ohne Grund ist auch unser Zeitbegriff
mit der Etablierung kapitalistischer , arbeitsteiliger Produktionsformen
gefestigt worden. Erst ab dann ist der kollektive Raster notwendig. Die
Frage der Tonhöhen, der Frequenzen, der offensichtlichen Polytonalität
treten ob meiner Überfordertheit in den Hintergrund. Das ist es, was
mich in den Bann geschlagen hat, - und die unglaubliche Lautstärke,
die Brutalität des musikalischen Geschehens, die "Schlagkraft
des Ensembles trotz der verblüffenden Komplexität der Vorgänge.
In ganz Afrika ist der Zeitbegriff etwas anderes, Pünktlichkeit bedeutet
etwas anderes als in Europa. Und doch ist das Bild dessen, das wir von "Afrikanischer"
Musik haben, bestimmt von einer mehr oder minder rigiden Vorstellung der
Zeitrasterung, die wir als "Groove" bezeichnen. Ein klar gerastertes
Kontinuum, in dem jedes Klangereignis seinen Platz findet, einordenbar ist.
hier ist das in keiner Weise der Fall. Denn die Notation der Togamusik müßte
eigentlich eine dreidimensionale sein, um das Geschehen ansatzweise einzufangen.
Untrennbar verbunden mit der Zeitproblematik ist der Raumklang, der sich
hier intuitiv ergibt. Differenzen, die durch Ortung der wandernden Klangquellen
entstehen. Es ist die Musik, die ich in der rush-hour auf der Brooklyn Bridge
gehört schon habe, Taxler schreien, Italiener schimpfen, Schwarze donnern
mit Ghettoblastern, Reifen quietschen; oder gehört das eher zu Neapel,
zum Chaos nach Arbeitsschluß vor San Gennaro? Wenn sich, alle Ampeln
oder Verkehrsregeln ignorierend, jeder Neapolitaner mit seinem Fiat den
Weg nach Hause hupt, eine wogende Automasse mit Rückungen, Ausbrüchen,
Stockungen, Zwischenspurts. Das ist auch eine Art von Tongamusik.
Tongamusik ist eine Kulturleistung, die sich jahrhundertelang entwickelt
hat. Das künstlerisch großartige Ergebnis einer Entwicklung,
deren Begriffswelt die unsere über weite Strecken ad absurdum führt.
Von Keith Goddard
Das Tonga Volk im Sambesi Tal, Zimbabwe
Die Tongas sind die drittgrößte Sprachgruppe in Zimbabwe, südliches
Afrika, nach den Shona und den Ndebele. Sie unterscheiden sich kulturell
und sprachlich gänzlich von den Sena-Tongas an der nordöstlichen
Grenze zwischen Zimbabwe und Mozambique sowie von allen anderen nationalen
Gruppen in der südlichen Region Afrikas mit denen sie, durch Zufall,
den Namen Tonga gemeinsam haben. Aufgrund ihrer geographischen Lage im Sambesi-Tal
werden sie werden bisweilen als die Valley Tongas bezeichnet, um eine Verwechslung
mit anderen Tonga Gruppen zu vermeiden.
Die Sprache der Tongas heißt Tonga.. Die Tongas bezeichnen sich selbst
als Batonka.
Tonga-Geschichte wurde bisher nur sehr wenig dokumentiert. Bis 1957 lebten
sie an beiden Ufern des Großen Sambesi Flusses, der die Grenze zwischen
Zimbabwe und Sambia bildet. Der Fluß beeinträchtigte ihr Zusammenleben
nicht und Familienangehörigen war es kein Problem, sich getrennt an
den beiden Uferbänken anzusiedeln.
Mit dem Bau des Kariba Dammes Mitte der 50er Jahre wurden die Tongas gezwungen,
aus ihren traditionellen Heimstätten wegzuziehen. Mit Lastwagen transportierte
man sie auf höher gelegenes Gebiet. Ihre ursprünglichen Häuser
und geheiligten Stätten liegen nun 300 Fuß unter Wasser. Die
Tonga leisteten Widerstand, aber ihre Bemühungen waren aussichtslos
gegen die militärische Maschinerie der Südrhodesischen Regierung.
Kariba versorgt heute praktisch ganz Zimbabwe mit Elektrizität. Die
elektrischen Drähte, die die Städte versorgen, spannen sich jedoch
über den Köpfen der Tongas hinweg. Die Tongas wurden vertrieben,
um anderen Vorteile zu bringen, haben aber selbst keinen Anteil am technologischen
Fortschritt, den ihre Umsiedelung brachte.
Der Damm war ein soziales, wirtschaftliches und ökologisches Desaster
für die Tongas. Sie wurden von fruchtbarem Schwemmland, von dem sie
2 mal im Jahr ernten konnten vertrieben in eine ärmliche, dürregeplagten
Halbwüste, die kaum eine einzige spärliche Hirse-Ernte im Jahr
möglich macht.
Vor der Überflutung waren die Tongas in erster Linie Fischer. Jetzt
müssen sie bei Ämtern in der 100 Kilometer entfernten Hauptstadt
um Fischerei-Lizenzen ansuchen. Die Hauptstraße, die durch das Gebiet
führt, befördert Lastagen großer Firmen, welche die Fische
zu den nahegelegenen Touristenzentren wie Hwange und Victoria Falls bringen,
wo sie mit großem Profit verkauft werden.
Das große soziale Desaster war die Trennung der Tonga Familien. Manche
blieben auf der Seite Zimbabwes, andere auf der Seite Sambias. Mit der Errichtung
einer nationalen Grenze 1964, als Sambia unabhängig wurde, brauchten
die Tongas plötzlich einen Paß, um nach Sambia zu gelangen. "Wenn
wir den Fluß zu überqueren suchen, begrüßen sie uns
mit Gewehren" sagen die Tongas. 40 Jahre später haben viele dieser
Familien es noch immer nicht geschafft, mit ihren Verwandten auf der anderen
Seite des Flusses wieder Kontakt aufzunehmen.
Die Lage der Frau verschlechterte sich erheblich mit der Umsiedelung. Vor
der Überflutung konnten Frauen Land erben und über das Land, das
sie besaßen, bestimmen. Als die Tongas weg mußten, waren es
die Männer, die das Land räumten und als Konsequenz daraus nun
auch kontrollieren.
Die Tongas leben flußaufwärts von den wohlhabenden Touristenzentren
der Victoria Falls und des Hwange National Parks. Es gibt ungefähr
200.000 Tongas auf der Zimbawesischen Seite, verstreut über ein großes
Gebiet entlang der Sambischen Grenze von den Victoria Falls bis Kariba.
Das Hauptgeschäftszentrum ist Binga und Binga ist auch der inoffizielle
Name des Gebietes, in dem die Tongas leben. Das Gebiet ist unterteilt in
einen Anzahl von Bezirken, die jeweils nach dem Häuptling dieses Bezirkes
benannt sind.
Tonga Kultur und Musik
Als stimmenlose Minderheit sind die Tongas Objekt zahlreicher Annahmen und
Vorurteile, selbst in ihrem eigenen Land. Der Stamm der Shona, der die größte
ethnische Gruppe in Zimbabwe bildet, bezeichnet die Tongas oft als primitiv
und gefährlich. Gerüchte erzählen, daß die Tongas Schweife
hätten, zweizehig seien und sich mit bösartiger Zauberei beschäftigten.
Die Regierung Zimbabwes toleriert keine Minderheiten und verlangt, im Namen
nationaler Einheit, daß alle Mitglieder der zivilisierten Gesellschaft
sich einem einzigen Kodex kulturelller Normen unterwerfen. Diese Politik
ist katastrophal für eine Minderheit wie die Tongas, deren individuelle
kulturelle Ausdrucksweise durch die angeblichen Bedürfnisse einer kulturellen
Mehrheit enorm unterdrückt wird.
Bis vor kurzem verkehrten die Tongas nur untereinander und knüpften
wenige Kontakte nach außen. Dies ändert sich nun merklich, vor
allem die jügeren Generationen sind daran interessiert, mit Menschen
anderer Gemeinschaften zu in Kontakt zu treten.
Wenig wurde noch über Tonga Kultur oder Musik geforscht. Hugh Tracey,
der berühmte Ethnomusikologe jener Zeit besuchte das Sambesi Tal auf
Einladung der Rhodesischen Regierung kurz vor der Flutung des Kariba Beckens,
um ostentativ die Musik aufzunehmen, bevor die Kultur zerstört würde.
Er schrieb eine einseitige Zusammenfassung seiner Entdeckungen. Ironischerweise
verloren die Tongas ihren Lebensunterhalt und ihr Land; die Traditionen
und die Musikkultur blieben aber großteils intakt.
In den 90ern begann eine geringe Forschungstätigkeit über Musik
und Kultur der Tongas. Die meisten Untersuchungen über Tonga Musik
in jüngster Vergangenheit wurden in der Gegend von Siachylaba gemacht.
Das einzige, was den Tongas blieb, nachdem sie ihren Lebensunterhalt und
ihr Land verloren hatten, war ihre kulturelle Identität. Dies gilt
im besonderen für die Tongas auf der Zimbwesischen Seite. Die Sambischen
Tongas ereilte ein anderes Schicksal; sie wurden in eine urbanere Kultur
absorbiert und verloren ihre traditionellen kulturellen Wurzeln.
Zeremonien
Zimbabwesiche Tonga Kultur ist reichhaltig, vielfältig und unterschiedlich.
Besonders interessant für Außenstehende ist die ngoma bontibe
Zeremonie, in erster Linie intendiert als ein Gedenken, das ca ein Jahr
nach dem Tod eines Menschen stattfindet. Die verwendeten Instrumente sind
Hörner (nyele) verschiedener Antilopengattungen, Handratschen aus Kürbis
(ihoso) und ein Set von 5-7 Trommeln (ngoma). Von kleinen, in der Hand gehaltenen
Trommeln, bis zur riesigen bontibe mit ihrer Elephantenohr-Membran, die
zwei Personen benötigt, um gehalten zu werden, und eine dritte, die
sie mit Unterarm und Handgelenk schlägt.
Ein komplettes musikalisches Ensemble für eine bontibe Zeremonie besteht
aus ca 15-20 Hörnern, die durch ein scharfes Schneidinstrument und
Bienenwachs in einer 7-Noten Skala gestimmt werden und ca 3 Oktaven umfassen.
Jedes Horn wird von einer Person gespielt und jedes hat ein offenes Ende
und kann zwei unterschiedliche Tonarten produzieren. Eine ziemliche Menge
an Luftdruck ist notwendig, um ein Horn zum Tönen zu bringen.
Die Musik selbst besteht aus Tonmustern, zu denen jeder Bläser eine
der beiden Tonarten seines Horns im gegebenen Moment beiträgt. Die
Trommeln steuern ihr eigenes Set rhythmischer Muster zu dieser Textur bei.
Die Komplexität der Instrumente wird überlagert durch den Gesang
der Frauen. Der Grundimpuls wird von den Handratschen gehalten.
Ngoma bontibe benötigt viel Platz. Das Zentrum ist normalerweise im
Schatten eines großen Baumes, unter dem die Trommeln positioniert
sind. Eine Zeitlang spielt das Musikensemble gemeinsam. An bestimmten Stellen
brechen Gruppen der Hornspieler von der Hauptgruppe aus, bewegen sich weg
und beschreiben einen weiten Kreis. Während dieser Zeit halten die
Trommeln den Grundrhythmus. Wenn die Musiker zurückkommen, heißen
die Trommeln die Spieler willkommen, indem sie die Intensität der Musik
steigern.
Jede nyele hat ihren eigenen Namen: siyamupa (lit.: die, die gibt) ist das
Horn, das beginnt, sayina ist das letzte Horn in einer speziellen Untergruppe
(vom englischen Wort sign, das die letzte Zeile in einem Brief bezeichnet).
Ein nyele Ensemble unterteilt sich natürlicherweise in kleinere Gruppen.
4 oder 5 Bass-Nyeles zum Beispiel gruppieren sich selbst in einem engen
Kreis, um sich besser zu hören und zu interagieren.
Der Tanz zu bontibe besteht aus einem langsamen Auf-Der-Stelle-Laufen, den
Boden aufkratzen und Staub aufwirbeln, synchron zur Musik.
Ein volles bontibe involviert Nachbargruppen, die um die Aufmerksamkeit
der Frauen wetteifern. Durch alternierendes und manchmal simultanes Spielen
versuchen die Musiker einer Gruppe einander zu übertreffen. Die Gruppe,
die es geschafft hat, die Aufmerksamkeit der meisten Frauen auf sich zu
ziehen, wird von den Frauen zu den Siegern erklärt.
Ein bontibe event verwirrt manchmal jene, die nicht daran gewöhnt sind:
Die Hörner alleine lassen Stockhausen-Kompositionen wie Schlaflieder
klingen. Solange man nicht in der Lage ist, die Muster herauszuhören
und den Sinn zu erkennen, erscheinen sie wie chaotischer Lärm.
Der Tanz ist ungestüm, beinhaltet Körpermassen in herumwirbelnden
Bewegungen in einer staubdicken Atmosphäre, Gestank von Kürbisbier
und schwitzende Körper.
Tonga nyele kompositionen bestehen aus verschiedenen Abschnitten. Sie sind
wie vokale Zeitungen, erzählen Geschichten über die Gemeinschaft
und exponieren Fehlverhalten von Menschen aus dem Ort.
Die spirituelle Welt der Tonga
Die Tonga Geister Zeremonie heißt mukande. Wenn es in einer Familie
Probleme gibt, denen Beachtung geschenkt werden soll, machen die Ahnen (midzimu)
die Lebenden durch besondere Zeichen darauf aufmerksam, wie zum Beispiel
eine Schlange, die durch eine Hütte kriecht. Zu einem bestimmten Zeitpunkt
wird jemend (üblicherweise eine Frau) besessen. Das kann zu jeder Tageszeit
passieren, auch wenn jemand gerade am Feld arbeitet. Diejenigen, die rundherum
sind, legen umgehend ihre Arbeit nieder, begleiten die besessene Frau nach
Hause, untermalt von einer einzigen Handratsche, welche die anderen auf
die Situation aufmerksam macht. In dieser Nacht findet ein Exorzismus mit
Gesang und Trommeln statt. Der Geist wird gebeten, Informationen über
die Proleme, die er oder sie geben will, mitzuteilen. Sobald dies geschehen
ist, wird der Geist davon überzeugt, wieder zu verschwinden.
Eine dritte Zeremonie, chilimba, ist nur zur Unterhaltung und beinhaltet
populäre Lieder, begleitet von großen fetten Trommeln. Die Tonga
spielen auch Mbira, welche sie kankobela oder kanamala nennen. Es ist ein
kleines, in der Hand gehaltenes Instrument, das aus einem fächerartigen
hölzernen Klangbrett besteht, in dessen Mitte ein kleines rundes Loch
gebohrt ist. Das Loch ist auf der Rückseite durch ein Spinnennetz verdeckt,
das wie ein "kazoo" vibriert, wenn das Instrument gespielt wird.
Auf dem Klangbrett sind einige Metallzinken befestigt (meist 8 oder 10),
welche vibrierend den Ton zu erzeugen, wenn sie mit beiden Daumen und dem
Zeigefinger der rechten Hand gezupft werden. Das Instrument wird zur Verstärkung
in einen größeren Kürbis oder eine Metalldose gehalten.
Die Lieder sind humorvolle Kommentare über Menschen und Persönlichkeiten
in der Umgebung.
Die Hitze im Sambesi Tal ist extrem, in den Sommermonaten häufig über
45° Celsius. Aus diesem Grund werden die meisten Arbeiten in der Kühle
des frühen Morgens oder gegen Sonnenuntergang erledigt. Tagsüber
versammeln sich die Menschen unter Bäumen oder unter den auf Stelzen
erbauten Hütten, trinken Opaque Bier (hwahwa) und plaudern. Oft ist
ein Mbira-Spieler anwesend und gelegentlich greift er zum Instrument und
unterhält die Gruppe mit einer humorvollen Liedgeschichte.
Ein "mouthbow" (kalumbu) war früher in dieser Gegend häufig,
verschwindet nun aber zusehends. Er besteht aus einem langen Holzbogen,
über den ein Draht als Saite gespannt ist. Das eine Ende des Instruments
liegt am Mund des Spielers, die Saite wird gezupft. Durch das Verändern
der Gestalt der Mundhöhle werden verschiedene Obertöne hervorgerufen,
die Melodien erzeugen.
Tonga Musik Identität
Obwohl die Tonga nicht zwischen Musikern und dem Rest der Beteiligten unterscheiden
(von jedem Mitglied der Versammlung wird erwartet, daß er zu einer
Performance beiträgt), gibt es trotzdem Individuen, die sich als talentierte
Spieler, Sänger, Komponisten und Instrumente-Bauer hervortun und Respekt
für ihre Dienste in der Gemeinschaft verlangen. Die meisten Frauen
singen mit, dennoch gibt es einige, deren Stimmen aufgrund ihrer Stärke
und Qualität herausragen. Tonga Gesänge können für westliche
Ohren heiser und rauh klingen. Die stärksten Stimmen haben beträchtliche
Kraft und Stimmumfang. Der Lärm der Hörner ist sehr laut und starke
Stimmen sind notwendig, um das auszugleichen.
Ein komplettes Ensemble braucht ca 30 Personen. Bei einer Versammlung können
auch hunderte auftauchen, aber meist, besonders, wenn die Treffen spontan
stattfinden, nehmen zwischen 20 und 30 Personen teil. Der "Keeper of
the Horns" (Tonga Ausdruck für die Leitmusiker) ist der Haupt-Koordinator
und der Verantwortliche für die sichere Verwahrung der Hörner.
Die Tongas haben auch eine Tradition von individuellen Komponisten.
Notlage der Tongas
Die Tongas sind sich ihrer Not bewußt. Sie kennen ihre abgrundtiefe
Armut. Sie sind geplagt von Hunger, steigenden Lebenskosten, Kleidermangel,
Trinkwassermangel, Malaria und anderen Krankheiten, schlechte Bildung und
Mangel allgemeiner Versorgungsmittel. Für Menschen aus Siachylaba zum
Beispiel ist die nächste Klinik 12 Kilometer entfernt. Es gibt eine
"primary school" in der unmittelbaren Umgebung, aber ab dem Alter
von 12 Jahren müssen Kinder wieder 12 Kilometer zur nächsten "secondary
school" gehen. Die Einrichtung in der lokalen Schule sind unzureichend:
Es gibt keine Schulbücher, keine Hefte, wenig Schreibpapier. Die Qualität
des Unterrichts ist schlecht. Qualifizierte Regierungslehrer wollen nicht
in dieser abgelegenen Gegend unterrichten, wo die Unterbringung nur notdürftig
ist und die Bedingungen sehr hart sind.
Die schlechte Qualität der Ausbildung hat die Situation verschlimmert.
Die Lehrer in der Gegend sind üblicherweise Shona, die kein Interesse
an der Tonga Kultur und deren Erhaltung haben. Lektionen werden in Ndebele
abgehalten, (weiter im Norden in Shona) und den Tongas wird von diesen Lehrern
zu verstehen gegeben, daß ihre Muttersprache nur für die Unterhaltung
zu Hause geeignet ist. Es gibt so gut wie keine Literatur in der Tonga-Sprache.
KUNZWANA TRUST und das Tonga Projekt
Um auf die Tongas und ihre Situation weltweit aufmerksam zu machen, wurde
eine Initiative von KUNZWANA Trust ins Leben gerufen. KUNZWANA Trust ist
eine Zimbawesische Kulturorganisation, die sich um die Förderung und
Verbreitung der Arbeit Zimbawesischer Künstler gegen faire Entlohnung
bemüht.
Bisher konzentrierte sich das Tonga Projekt hauptsächlich auf kulturellen
Austausch zwischen ausländischen Musikern und den Tongas in der Region
Binga. Beträchtliches Interesse an der Tonga Kultur war die Folge,
vor allem in zeitgenössischen Musikkreisen und Kulturorganisationen
in Österreich und Holland.
Das eigenwillige zeitgenössische Empfinden in der Musik der Tongas
hat großes Interesse unter Künstlern in Europa und Amerika hervorgerufen.
Hörbeispiele wurden in Berichten über Zimbabwe im österreichischen
Rundfunk ausgestrahlt. Zur Zeit arbeiten Keith Goddard und Klaus Hollinetz
an einer computer-generierten Komposition, die die Klangwelten antiker musikalischer
Ausdruckformen der Tongas in Kombination mit den digitalen Welten elektro-akustischer
Musik erforscht. Die Komposition soll Aufmerksamkeit auf Musik und Kultur
der Tongas lenken und sie zeigt gleichzeitig die kreativen Möglichkeiten
dieser Musik. Auch der Linzer Komponist Peter Androsch was zutiefst angetan
von dieser Musik, als er die Gegend im Jänner 1996 besuchte.
Mit dem entstehenden Interesse an der Kultur der Tonga und speziell dem
musikalischen Ausdruck der Tonga, ist das Tonga Projekt beim nächsten
Schritt, nämlich eine Gruppe von Tongas nach Europa zu bringen.
Back to HOME
SERVUS.AT