3. BILD II Das Körper-Bild.
3.1. Der Körper als Reflektor.
Modelle für sinnliche Wahrnehmungsweisen finden sich auch in der
Gestaltpsychologie.
Ein Theoretiker, der diesen Ansätzen nahe steht, ist Rudolf zur Lippe:
"Wir begegnen immer dem Lebensgeschehen zugleich in den Formen eines
bestimmten Verständnisses. Je elementarer dieses Geschehen, je mehr es
unserer sinnlichen Anschauung sich entzieht, desto stärker ist die
Bedeutung der Begriffe und Modelle, in denen es dargestellt wird.
Während wir noch tief berührt sind von dem, was sich in den
Tiefenschichten des Lebens ereignet, müssen wir gleichzeitig höchst
wachsam darauf sein, wie wir uns diese Ereignisse vergegenwärtigen."(1)
Dieser Satz Rudolf zur Lippes kann zunächst, ohne näher auf
gestalttheoretische Ansätze einzugehen, als Warnung vor der Auslieferung
des Bewußtseins an die Bilder verstanden werden, und zwar genau in dem
Sinne der halluzinatorischen Wirkung unentzifferter Bilder bei Vilém
Flusser. Diese Warnung hat ihre Berechtigung. Wie aber ist der Gefahr der Bewußtlosigkeit
zu begegnen?
Doch keineswegs dadurch, daß sich die Augen vor den Bildern verschließen,
denn das entspräche der "Textolatrie", der ebenfalls
halluzinatorischen Wirkung unanschaulicher Texte. Vielmehr die Gleichzeitigkeit
von "Sich-berühren-lassen" und Wachsamkeit, ein genaues Hinsehen
und Entziffern wird empfohlen.
Ein solches Hinsehen ist vor allem deshalb erforderlich, weil es sich beim
Vergegenwärtigen nicht um "äußere", um Fremdbilder
handelt, sondern um "innere", um Selbstbilder. Die "Begriffe und
Modelle" von denen zur Lippe spricht, sind ja nicht die Ereignisse an sich,
sondern: "wie wir uns diese Ereignisse vergegenwärtigen".
Und durch die Gleichsetzung von "Begriffen und Modellen" mit "Ereignissen",
erhält "vergegenwärtigen" bei Rudolf zur Lippe die Bedeutung
von "erinnern".
Das allgegenwärtige, permanente Erinnerungs-Bild der Ilias ist der Körper
des Kriegers. Auf die Ilias bezogen muß die Frage daher lauten:
"Wie wird dieser Körper vergegenwärtigt?".
(1) (zur Lippe, 1987, S. 113)
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