II. Oberflächen
Über den Körper des Kriegers geben visuell auch seine künstlichen
"Häute" und "Glieder" (siehe: I,1.b) ) Auskunft
(beziehungsweise heben sie bestimmte Merkmale ausdrücklich hervor). Der
Text betont die enge Verbindung zwischen dem Körper und diesen Gegenständen
auch durch (bildliche) Formulierungen wie:
... tauchte er ein in die funkelnden Waffen ..., ... nachdem um den Leib er
gezogen alle die Waffen ..., ... tauchte die Brust in den Panzer..., ... ( häufige
Formulierungen)
Derart betont, wird aus dem künstlichen Gegenstand ein "natürlicher",
aus dem Naheverhältnis Körper/Hülle wird Ähnlichkeit,
Verwandtschaft.(1) Es findet eine wechselseitige Übertragung statt,
aus der heraus diese Hüllen als zum Körper gehörig empfunden
werden, wie es der folgende Vers illustriert:
Hektor passte er auf den Leib die Waffen, und furchtbar
Tauchte Ares in ihn, es füllten die Glieder im Innern
An sich mit Stärke und Kraft (Ilias, XVII, 210 - 212 )
Zu diesen Insignien, den künstlichen "Häuten" und "Gliedern"
des Kriegers gehören:
1. zuallererst seine Rüstung, jene Waffen, die er anzieht, die er am Körper
trägt.
der funkelnde Helm, der bunte Schild, die strahlende Rüstung, das
funkelnde Erz, der schimmernde Panzer/Helm/Schild, der schillernde Gürtel,
die schönen Waffen, ... (häufige Attributverbindungen)
2. Felle und Häute von Tieren:
ein schwärzliche Fell, das rote Fell eines glänzenden Löwen,
ein Pardelfell, das Fell eines gefleckten Panthers, ein Wolfsfell, eine
Marderkappe, der Schild aus Stierhaut, ... (häufige Attributverbindungen)
3. Jene Waffen, die er bewegt, also seine zusätzlichen "Glieder":
die schattende Lanze, der blinkende Speer, die begierige Lanze, die wuchtige
Lanze, der Speer voll Gier, der lange Speer, die gewaltige Lanze, ... (häufige
Attributverbindungen)
Betont wird im Text immer wieder die affirmative Wirkung, die diese
Ausrüstungsgegenstände im Sinne "magischer Übertragung"
auf den Körper haben, oder wie sie sich in Beziehung zum Körper
kongenial verhalten:
"in seiner Rüstung leuchtend so wie die Strahlen der Sonne"
(Ilias, VI, 513 - 514 )
"setzte aufs starke Haupt den gutgefertigten Helm mit dem Roßschweif"
(Ilias, XVI, 137 - 138 )
"Und er versuchte sich selbst in den Waffen, ... ,
Ob sie ihm paßten und sich darin regten die glänzenden Glieder;
Die aber waren wie Flügel und hoben den Hirten der Völker"
(Ilias, XIX, 384 - 386 )
In der gewaltsamen Destruktion, die zur Auflösung des Körperzusammenhangs
führt ("Ihnen beiden löste die Kraft und die schimmernden Glieder"
(Ilias, VI, 27 ) ) werden diese Oberflächen oft minutiös nacheinander
durchdrungen (analog dem Vorgang, wie sie in den Rüstungsszenen angelegt
werden):
"und es drang der bittere Pfeil in den Gurt, den gefügten,
Und er bohrte sich durch den Gurt, den zierlich geschmückten
Und durch den Panzer drang er hindurch, den kunstvoll gezierten,
Und durch den Schurz, den er trug, den Leib vor Geschossen zu schützen,
Der ihn am meisten beschirmte; jedoch er durchbohrte auch diesen.
Aber als letztes ritzte der Pfeil die Haut noch des Mannes;
Und gleich rann das dunkelfarbene Blut aus der Wunde,"
(Ilias, IV, 134 - 140 )
(1) Vgl. dazu: Michel Leiris, 1978, S. 259: " ... als ob der Mensch,
kaum daß er sich seiner Haut bewußt geworden war, nichts Eiligeres
zu tun hatte, als sie zu wechseln und sich mit dem Kopf voran in eine erregende
Metamorphose zu stürzen, die es ihm durch das Anlegen einer anderen Haut
erlaubte seine eigenen Grenzen zu durchbrechen."
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