Kulturstadt Linz:
Notwendige Maßnahmen aus Sicht der Freien Szene
 


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Kulturstadt Linz:
Notwendige Maßnahmen aus Sicht der Freien Szene

Seit über einem halben Jahr ist Linz Europäische Kulturhauptstadt. Eine Reihe von mehr oder weniger spektakulären Kunst- und Kulturprojekten konnte bislang erlebt werden. Auch wenn einige Initiativen der Freien Szene die Möglichkeit hatten, ihre eingebrachten Ideen zu realisieren, kann dies nicht über den bereits im Vorfeld der Kulturhauptstadt geäußerten Unmut von weiten Teilen der Freien Szene über eine Nichtberücksichtigung bei diesem Großereignis hinwegtäuschen. Linz09 wäre eine Chance für viele dieser Initiativen gewesen, sich zu präsentieren, zu positionieren und zu wachsen, um die Stadt auch nach dem Kulturhauptstadtjahr auf einer qualitativ höherwertigen Ebene mitzugestalten.

Die Freie Szene mit ihrem offenen Ansatz zwischen partizipativer Kulturarbeit und experimenteller Kunst sah und sieht sich als ein Motor einer permanenten Stadtentwicklung. Durch die kontinuierliche kulturelle und künstlerische Arbeit in den letzten Jahrzehnten hat sie wichtige Impulse für die Entwicklung der Stadt Linz geleistet, die weit über bloß oberflächliche Repräsentanz und Imageeffekte hinausgehen. Die Freie Szene ist dabei kein fix abgegrenzter, ausdefinierter Block, sondern eine Menge an Initiativen, Gruppen und Personen, die sozial, künstlerisch, kulturell, politisch, stadtgestaltend, zukunftsorientiert, gesellschaftspolitisch antirassistisch, antidiskriminierend, egalitätsbezogen und aktiv Zukunft ändern wollend in der Stadt agiert.

Aus gegebenem Anlass haben zahlreiche VertreterInnen der Freien Szene in mehreren Treffen über die aktuelle Situation reflektiert. Basierend auf der kontinuierlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte, u. a. aufgrund des Kulturentwicklungsplans der Stadt Linz, sieht sich die Freie Szene in der Verantwortung, ihren substanziellen Beitrag zur weiteren Entwicklung der Stadt Linz hin zu einer Kulturstadt zu leisten. Die Freie Szene ist in diesem Zusammenhang überzeugt davon, dass eine Stadt nur dann langfristig entwicklungsfähig ist, wenn möglichst Viele an der Entwicklung teilhaben.

In 10 Kapiteln wird festgehalten, welche Maßnahmen in den nächsten Jahren notwendig sind, um die Entfaltung der Freien Szene und somit die kulturelle Weiterentwicklung der Stadt zu fördern. Exemplarisch werden einleitend folgende besonders wichtige Maßnahmen hervorgehoben:

  1. Basis sichern!

Für die Freie Szene ist Strukturförderung wichtiger als Projektförderung, denn es geht in erster Linie darum, eine vitale, aktive Kulturlandschaft zu schaffen, zu erhalten und weiter zu entwickeln. Eine gesicherte Basis ermöglicht erst, sich mit Projektentwicklung, Perspektiven und Zukunftsfähigkeit auseinander zu setzen, weil erst auf Basis einer funktionierenden Struktur Prozesse entstehen und aufrecht erhalten werden können. Projektförderung als brauchbares Mittel kulturpolitischer Steuerung funktioniert nur dann, wenn Projekte in funktionierenden Strukturen umgesetzt werden können, ohne dabei die Mitfinanzierung der unzureichend geförderten Struktur als Nebenziel ins Auge fassen zu müssen.

Notwendige Maßnahmen:

  1. Fördern, fördern, fördern!

Die kulturelle Weiterentwicklung einer Stadt verlangt die ständige Bereitschaft zu einer geeigneten Förderung der Rahmenbedingungen. Diese soll sich aus konkreten Bedürfnissen und partizipativ entworfenen Zielen speisen und nicht verkürzten Begriffen (Effizienz, Innovation, Kreativität, …) zum Opfer fallen. Kulturarbeit stadtstrukturell zu denken, heißt demnach mehr als kurzfristige Effekthascherei. Die Freie Szene hat vielfach bewiesen, dass ihre Arbeit einen langfristigen Nutzen für die Stadt mit sich bringt. Die Linzer Kulturpolitik hat hier die Aufgabe, sich für ein ausgewogenes Verhältnis von Basis- und Projektförderung einzusetzen, über dauerhaft arbeitsstruktursichernde Maßnahmen die Handlungsfähigkeit der Initiativen zu gewährleisten und gleichzeitig mittels inventiver Förderprogramme mehr Dynamik in die Entwicklung einzubringen.

Notwendige Maßnahmen:

  1. Raum schaffen!

Kultur braucht Raum. Raum zum Experimentieren, Raum, um diesen zu gestalten, Raum, um zu arbeiten. Kulturarbeit braucht vor allem Raum, der abseits ökonomischer Verwertungskriterien genutzt werden kann. Der öffentliche Raum ist jener Ort, der Gestaltungsspielräume ermöglicht. Diese Spielräume müssen in partizipativen Prozessen gestaltet werden, egal ob nun neue Räume besetzt werden, ungenützte Häuser zur Verfügung stehen oder der Mut zur Brachfläche auf der Agenda steht. Aber auch die vorhandenen städtischen Räume für Kunst und Kultur müssen qualitativ erweitert werden. Es gilt dabei verstärkt in die kleineren Nischenräume der Freien Szene zu investieren.

Notwendige Maßnahmen:

  1. Leuchttürme öffnen!

Linz zeichnet sich durch ein relativ gut funktionierendes Netzwerk an kulturellen AkteurInnen aus. Kooperationen über enge Grenzen hinweg sind nicht ungewöhnlich, manchmal auch zwischen öffentlichen Kunst- und Kultureinrichtungen und der Freien Szene. Trotzdem passieren diese Kooperationen oftmals nur über private Bekanntschaften oder auf zufälligem Weg. Dabei können gerade derartige Kooperationen einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Weiterentwicklung der Stadt leisten. Es braucht hier allerdings Freiräume und Zugänge, um ein öffnendes und aktives Eingreifen der Freien Szene möglich und wirksam zu machen. Dieses Hinterfragen bestehender Strukturen ist ein wichtiger Beitrag zur emanzipatorischen Entwicklung in Linz und ein Stück gelebter Demokratie, von denen auch die öffentlichen Kultureinrichtungen der Stadt profitieren könnten.

Notwendige Maßnahmen:

  1. Langfristig denken!

Die kulturelle Entwicklung einer Stadt ist ein langfristiger Prozess. Spätestens mit dem einstimmigen Beschluss des Kulturentwicklungsplans im März 2000 im Linzer Gemeinderat wird auf eine langfristige und geplante Entwicklung von Kunst und Kultur in Linz besonderer Wert gelegt. Der Kulturentwicklungsplan versteht sich als "work in progress", im Frühjahr 2004 wurde eine überarbeitete Fassung mit bislang erfolgten Umsetzungsmaßnahmen präsentiert. Viele der Maßnahmen, welche die Freie Szene betreffen, harren nach wie vor ihrer Umsetzung, obwohl ihr Stellenwert zentral im Kulturentwicklungsplan verankert ist.

Notwendige Maßnahmen:

  1. Partizipation garantieren!

Die Freie Szene arbeitet seit Jahren in der Stadt und kennt diese genau. Sie hat ein Recht darauf, als Partnerin bei Entscheidungen mitzuwirken. Dafür müssen Modelle der Beteiligung gefunden werden, die über die bestehenden Modelle von Beiräten hinausgehen. Die Rede ist hier von echter Partizipation, die auf dem Recht von gleicher Teilhabe beruht, und gewährleistet, dass Prozesse und Projekte diskursiv verhandelt werden. Die Freie Szene muss Teil der Struktur werden, um diese neu zu definieren.

Notwendige Maßnahmen:

  1. Gerecht verteilen!

Eine demokratische Kulturpolitik muss Rahmenbedingungen schaffen, die es Menschen aus gesellschaftlich unterrepräsentierten und marginalisierten Gruppen möglich machen, ihre Rechte auf kulturelle Teilnahme einzutreten. Dies setzt einen kontinuierlichen Prozess voraus, der die Weiterentwicklung positiver Maßnahmen für die Beseitigung von Diskriminierungen zum Ziel hat. Die Kulturpolitik hat hierbei Sorge zu tragen, dass Rahmenbedingungen geschaffen und Schwerpunkte gesetzt werden, um eine geschlechtergerechte bzw. migrantInnengerechte Verteilung von Ressourcen zu garantieren. Die Verteilung der Mittel muss nachvollziehbar gemacht werden und die Debatte darüber öffentlich und partizipativ geführt werden. Eine Umverteilung innerhalb der Budgets ist notwendig.

Notwendige Maßnahmen:

  1. Prekarität bekämpfen!

Die Situation in der Freien Szene ist eine ständig prekäre. Unsichere Arbeitsverhältnisse, niedrige Entlohnung, ungeregelte Arbeitszeiten, fehlende soziale Absicherung, ständiges Job-Hopping, Vermischung von Arbeitszeit und Freizeit oder Überschreiten von physischen und psychischen Belastbarkeitsgrenzen stehen auf der Tagesordnung. Ein Großteil der Arbeit, die passiert, findet zudem auf ehrenamtlicher Basis statt. Die Folgen sind bekannt: abwanderndes Potenzial an Kunst- und Kulturschaffenden, permanentes Armutsrisiko und damit verbundene soziale Konsequenzen, Burn-Out-Syndrome und vieles mehr. Freie Kunst- und Kulturarbeit benötigt daher eine strukturelle Unterstützung, die sich unter anderem in der Förderung von Personal niederschlagen muss, um qualifizierte Voraussetzungen für die Betätigung zu schaffen. Aufgabe der Kulturpolitik ist es hier, eine tatsächliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen und -verhältnisse in diesem Bereich zu schaffen.

Notwendige Maßnahmen:

  1. Regeln aushandeln!

Kulturpolitik braucht klare, deutliche, nachvollziehbare und für beide Seiten verbindliche Regeln für Förderungen, für deren Gebrauch, für die Abläufe und für angewandte Kriterien. Diese Regeln sind immer wieder neu auszuhandeln. Förderprogramme sind Mittel der kulturpolitischen Gestaltung und der Steuerung der Entwicklungen im kulturellen, alltäglichen Zusammenleben und keine Almosen. Kulturarbeit ist Arbeit, die Freie Szene ist aktive Mitgestalterin der städtischen Gesellschaft, des Jetzt und der Zukunft.

Notwendige Maßnahmen:

  1. Linz09 verdauen!

Linz soll 2015 die interessanteste Stadt Österreichs werden, lautet ein oft zitierter Spruch der Intendanz von Linz09. Eine interessante Stadt lebt allerdings nicht nur von spektakulären Großprojekten, sondern vor allem durch eine Vielzahl an Menschen, die bereit sind, sich mit unkonventionellen und außergewöhnlichen Ideen in ihre Stadt einzumischen. Im Zuge von Linz09 wurde dieser Anspruch nur unzureichend verwirklicht. Viele spannende Initiativen und Projekte, insbesondere aus der Freien Szene, wurden von der Teilhabe ausgeschlossen. Intransparente Beurteilungskriterien (Standardformulierungen bei Absagen), nebulöse Qualitätsargumente (Fetisch der künstlerischen Qualität), der Vorwurf unprofessioneller Arbeitsweisen (bei gleichzeitigen eigenen organisatorischen Mängeln) und das Ignorieren vorangegangener Entwicklungen der Stadt (Kulturentwicklungsplan als lästige Altlast) haben vieles an Aufbauarbeit der letzten Jahre zunichte gemacht. Eine umfassende Stadtentwicklung lebt von einer anderen Qualität von Teilhabe und Identifikation. Dafür ist es notwendig, Lehren aus einem Großereignis wie Linz09 zu ziehen und sowohl die Vorgänge im Zuge der Kulturhauptstadtwerdung als auch das Großereignis und dessen kulturpolitische Wirkung kritisch zu reflektieren.

Notwendige Maßnahmen:

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