Das Geld, die Kunst und der Gibling

 

 

Der Gibling ist ein Kunst/Währungs-Projekt der Stadtwerkstatt, seit 2011. Textliche Reflexion als Quasikunstprojekt. Ein Text von Tanja Brandmayr über die Community-Währung und den als Quasi-Kunstobjekt deklarierten Gibling, verfasst für das »mcd – Magazine des Cultures Digitales«. Der Text ist außerdem in der Versorgerin #103 erschienen.

Das Geld, die Kunst und der Gibling

Als Community-Währung der Stadtwerkstatt kann der Gibling zurzeit in etwa 50 Partnerinstitutionen in Wien, Linz und Graz ausgegeben werden, die im kulturellen und urbanen Kontext angesiedelt sind. Der Gibling entwickelt sich neben seiner realen Existenz als Community-Tauschgeld aber zunehmend auch zur Geldkunst.

Der Gibling ist als solches nämlich mehr als eine Community-Währung – er ist Experiment und offenes System in einem. Er bezieht sich historisch auf  Regionalwährungen, die in Krisenzeiten den Geldwert an einen spekulationsfreien Waren- und Dienstleistungswert bindet und die lokale Wirtschaft stärken soll. Auf den Info-Seiten zum Gibling heißt es: »Partner profitieren von einer kleinen Community, da meist viele Giblinge in Umlauf sind«. Der Gibling will in dieser Anbindung aber nicht nur regional agieren, sondern eine überregionale Community ansprechen, will als Communitywährung die kunst- und kulturaffinen Szenen in einem weiteren Umfeld stärken. Der Gibling setzt in diesem Kontext auf einen realen Waren- und Dienstleistungsfluss als Basis, er ist aber dennoch, laut Franz Xaver, Giblingerfinder und einer der Betreiber von punkaustria, »soziales Experiment und keine wirtschaftliche Vision«. Der Gibling ist als Communitiy-Währung jedenfalls Angebot auf einen dynamischen Prozess der Beteiligung.

Mit dem Gibling zu bezahlen funktioniert – und macht zurzeit vor allem bei kleineren Beträgen Sinn. Praktisch sieht das so aus: In einem Wertverhältnis von 1:1 zum Euro kann die Community-Währung bei punkaustria gewechselt und in den Partnerinstitutionen in Umlauf gebracht werden, diverse Vergünstigungen mit eingeschlossen. Ebenso kann der Gibling rückgetauscht werden, genau gesagt muss er von Zeit zu Zeit auch rückgetauscht werden, in Euros oder in den jeweils aktuellen Gibling – denn die Scheine werden jedes Jahr neu gestaltet und das alte Geld wird von punkaustria vernichtet. Beziehungsweise: Die Giblinge erleiden beim Rücktausch, der noch über einige Jahre möglich ist, sukzessive prozentualen Wertverlust, der schließlich nach fünf Jahren bei Null angelangt ist. Eine Limitierung besteht also nicht in einer Geldmenge, sondern in deren zeitlicher Wertlimitierung. Über diese Aktualisierung soll erreicht werden, dass Geld in Umlauf bleibt, dass es nicht gehortet wird oder anderwärtig sich akkumuliert, kurzum, dass Geld nicht aus sich heraus geschäftig wird, sondern hauptsächlich Tauscheinheit bleibt. Um das Gibling-Geld im Umlauf zu halten, müssen punkaustria und die NutzerInnen allerdings einigermaßen geschäftig bleiben, bei diversen Wechselaktionen vor Ort oder per Postweg wechseln und rückwechseln – was wohl die Urnarration des Geldes und seine allseitige System-Anbindungen auf recht schöne Weise spiegelt.

Ich selbst bin legere Gibling-Nutzerin. Ich lasse mir neuerdings in Geschäften, die sich mit dem Slogan »We accept Giblinge« auf der Tür ausweisen, gerne in Giblingen herausgeben (was wegen buchhalterischen Aufwands nur teilweise gemacht wird), die ich dann anderswo wieder ausgebe. Abgesehen davon habe ich ein paar Scheine meistens in der Geldbörse, und einige werde ich mir als Sammelobjekte behalten, quasi als Geld-Objekte, die, wie bereits erwähnt, jedes Jahr neu gestaltet werden. Wie ich festgestellt habe, sammeln auch andere Leute, womit wir beim Wert des Giblings als Objekt für sich angelangt wären. Das Gibling-System kann nämlich nicht nur als soziales und/oder Geldumlaufexperiment verstanden werden, sondern man möchte sagen, dass hier die Kunst selbst zur Währung gemacht wird, denn mit der Gestaltung der Scheine werden KünstlerInnen beauftragt. Die erste Auflage des Giblings wurde von der Linzerin Oona Valarie gestaltet, für die zweite, beim genauen Hinsehen wunderschön amorph anmutende Gibling-Gestaltung zeichnet Leo Schatzl. In einem nächsten Schritt wurde für 2014/2015 die Wiener Künstlerin Deborah Sengl verpflichtet – alles in allem steht dieser ästhetische Prozess für eine Entwicklung des Giblings hin zur Kunst. Ich finde diese Behauptung auch in Formulierungen wieder, als ich auf der Homepage zum Gibling stöbere. Dort ist durchaus auch von »Werken« von KünstlerInnen die Rede, oder von »Arbeiten, die einzutauschen sind«. Ich denke, dass es eine charmante und bezeichnende Eigenschaft des Giblings ist, dass er als Kunst nicht nur gegen Euros gekauft und verkauft werden kann, sondern sozusagen in einer alltäglichen Praxis direkt im Waren- oder Dienstleistungskreislauf steht: Währung wird zur Kunst, Kunst wird zur Währung und kann so gesehen jederzeit auch wieder liquid gemacht werden. Dazu kommt, dass die 500er-Gibling-Scheine der letzten beiden Serien auch als Kunstedition angeboten wurden, bzw. werden. Sie sind, wie die kleinen 1-, 2- und 5-Giblingnoten, mit allen optischen Insignien von Geld versehen. Der Gibling wird somit nicht nur zur Kunst, er ist so auch symbolisch-ästhetisches, doppelbödig vertracktes Statement zum Kunstsystem selbst: Ist der Gibling auch subversives Statement zum spekulativen Charakter von Kunst und Geld gleichermaßen? punkaustria weiß jedenfalls nach der letzten Rücktauschmöglichkeit der abgelaufenen Scheine, wie viele Giblinge der jeweiligen Ausgabe noch existieren und kann so im Nachhinein eine Auflagenhöhe definieren. Es scheint so, als ob der Gibling auch Kunstmarkt-Experiment ist, zumindest scheint er einige Mechanismen des Kunstmarkts zu kopieren.

Wir bleiben beim empfindlichen Punkt der Spekulation. Was nämlich auch der Kunstmarkt tut, quasi aus der Luft Werte zu verdoppeln oder zu vervielfachen, macht ebenso gewohnheitsmäßig das kapitalistische System mit Geldmengen: So erschaffen Banken und Börsen mit Krediten und Aktien auch Geldmengen aus der Luft, aus Vertrauen in eine Wertigkeit, die, sagen wir, auf einen mehr oder weniger begründeten Glauben in die vorhandene realwirtschaftliche Leistungsfähigkeit basiert. Interessanterweise hat sich nun punkaustria zu Beginn dieses Jahres ganz entgegen seiner anfänglichen realwirtschaftlichen Basisintention in Bezug zu Kryptowährungen gesetzt und den givecoin lanciert. Kryptowährungen wie der bekannteste bitcoin stellen eine digitale Communitywährung und auch Währungs-Parallelsystem dar, das nur mehr auf Rechenleistung, Teilnahme und Spekulation basiert – sie handeln mit nichts mehr, beziehungsweise, meine ich, mit dem wundesten Punkt im kapitalistischen System, dem realwirtschaftlich friktionsfreien, beinahe schon religiös anmutenden puren Glauben an Geld oder dessen Abstraktion. Unter dem Motto »Yes, let‘s fuck the money« hat punkaustria nun auch seine Kryptowährung, den givecoin kreiert, der sich zum bitcoin zumindest systemisch in Beziehung setzt: Auch hier geht es um einen experimentellen Ansatz und man will auch hinsichtlich der Kryptowährungen auf ein offenes System der diskursiven Erweiterung setzen. Kryptowährungen sind zwar auch Parallelsystem, stehen aber gerade in ihrem Spekulationsgedanken völlig im Gegensatz zu einer Regionalwährung, die ja in ihrer tatsächlichen Handhabung als Gutscheinsystem nicht einmal Geschäfte tätigen darf oder will, bei denen Geld selbst zu arbeiten beginnt.

Was ist nun der Gibling? Alles in allem ist er für mich ein offener Währungs-Bezugsrahmen, der sich zwar einiger historischen Bezugnahmen bedient, aber recht eigentümlich zwischen Gutscheinsystem, Geld, sozialem Experiment, Kunst und coin-Abstraktion herummäandert. Der Gibling stellt auf mehreren Ebenen ein Angebot, ist Versuchsanordnung und als solche per se kritische Stellungnahme. Er ist im Sinne der klassischen Verschränkung von initiativer und künstlerischer Arbeit Angebot und Protest in einem. Er reiht sich mit seiner initiativen Praxis des Agierens, der Beteiligung und der Herstellung von Denkfluchten wohl auch in eine vielseitig ausgerufene Haltung des »Protests als erste neue Kunstform des 21. Jahrhunderts«1 ein, jedoch ohne in unkritische Protest-Mechanismen zu verfallen. Man könnte vielleicht anmerken, dass er sich nicht ganz entscheiden kann, was er sein will, jedoch liegt die Stärke meiner Meinung gerade in dieser Indifferenz. Um diese Behauptung zu unterstreichen, entlehne ich einige Begriffe und Grundgedanken von Bruno Latour2: Mit Bruno Latour gesprochen sind die Dinge heutzutage vermischte Konstrukte – je mehr die Angelegenheiten an der Oberfläche rational getrennt wurden, desto mehr bilden sie unter der Oberfläche Hybride, Kollektive aus auseinanderdriftenden Fakten und weitgehend ausgeklammerter »matters of concern«. Geld als materiellste und immateriellste Form gleichermaßen eignet sich wohl sehr gut, ein Hybrid aus Ideengeschichte, praktischen Wert, Faktenwert und eigener »Erzählung von Belang« neu zu denken. So gesehen kann der Gibling als eigenes vermischtes Hybrid tatsächlich diese vielen verschiedenen Aspekte ansammeln und gewinnt gerade durch ein disparates, nicht primär zweckorientiertes Ideen- und Faktenkollektiv. Er ist konkret und symbolisch in einem, er versammelt eine eigene Dinglichkeit, geht vom eingangs erwähnten Gesell’schen Regionalwährungssystem aus, aber nicht um in dieser Idee und seinen durchaus kritisierbaren Zusammenhängen zu bleiben, sondern um an eine Ansammlung von zusätzlichen Dingen heranzugehen, an ein zweites System der alternativ-sozialen Beteiligung, eine Haltung von Autonomie, an ein drittes System der Kunst, das ästhetisch-symbolisch Widerstand ausdrückt, und an ein viertes System der Kryptowährungen, die den Regionalwährungen ungefähr so weit entgegenstehen, wie das Gibling-Gebrauchskleingeld dem 500er-Kunsteditions-Schein. In diesem Arrangement wird das Geld zu etwas anderem, vielleicht zu einer eigenen auseinanderdriftenden Erzählung, vielleicht zu einem Quasi-Kunstobjekt, also zu einem Latourschen Kollektiv aus Protest und Kunst3, vielleicht sogar zu einer neuen Ideengeschichte des Gebens – oder Ausgebens (»Gibling«).

Dem Gibling scheint jedenfalls eine starke Intention zugrunde zu liegen, er definiert aber nicht fertig aus, sondern setzt dagegen, fügt dazu, bleibt offen, ist in Entwicklung. Ein solches Tun treibt in Krisenzeiten um, thematisiert neu, legt Mechanismen frei – und treibt mitunter auch kuriose mediale Blüten: So wurde der Gibling im Zusammenhang mit der Zypern-Krise von der nationalen Fernsehstation ORF in den Abendnachrichten vorgestellt. Als für die Zyprioten im Jahr 2013 plötzlich kein Geld mehr aus dem Bankomaten kam, wurde die punkaustria-Filiale neben der Nationalbank in Wien zur plötzlich aufgesuchten Anlaufstelle für Fragen zu Währungs-Alternativen. Absurd genug. Einstweilen konnte man am Geburtsort des Giblings, dem Cafe Strom der Linzer Stadtwerkstatt, der homebase von punkaustria, mit dem Gibling in seine Getränke investieren. Kann man natürlich immer noch. Dinge und Dringlichkeiten ändern sich mitunter rasch.

www.punkaustria.at

www.stwst.at

[1] Zitiert nach Peter Weibel
[2] Bruno Latour,  »Wir sind nie modern gewesen – Versuch einer symmetrischen Anthropologie«, suhrkamp, 2008; »Elend der Kritik – Vom Krieg um Fakten zu Dingen von Belang«, diaphanes 2007;
[3] Nach den Latourschen Quasi-Objekten.

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