Fekter und die Juden

Stephan Grigat über die österreichische Finanzministerin & Antisemitismus in der Globalisierungskritik.

Maria Fekters Äußerungen zum Zusammenhang von Bankenschelte, zwei Weltkriegen und Judenhass im September dieses Jahres waren derart geschichtsvergessen und in ihrer Intention durchschaubar, dass es einem widerstrebt, sie näher unter die Lupe zu nehmen. Interessanter wäre es wohl gewesen, über Fekters Beitrag zur Befeuerung der Fremdenfeindlichkeit in Österreich durch ihre Asylpolitik und ihre Äußerungen als Innenministerin in den Jahren 2008 bis 2011 zu diskutieren und zu fragen, warum ausgerechnet solch eine Politikerin sich nun zur Streiterin gegen »Feindbilder« berufen fühlt. Zugleich sollte man fragen, warum die sozialdemokratischen Exponenten und Exponentinnen der parteipolitischen Konkurrenz, die sich durch ihre Attacken gegen das »Spekulantentum« größte Mühe geben, den wirren Äußerungen Fekters eine gewisse Plausibilität zu verleihen, sich ausgerechnet angesichts der Äußerungen der Finanzministerin zu großer Aufregung genötigt sahen und sich als Antisemitismuskritiker ins Spiel brachten. Es sind dies dieselben Leute, die noch nie ein kritisches Wort über das Antisemitenregime im Iran verloren haben und nicht im Traum daran denken würden, gegen Österreich-Besuche von Repräsentanten dieses Holocaustleugnerregimes, das dem jüdischen Staat ein ums andere mal mit Vernichtung droht und ganz offensichtlich bestrebt ist, sich die dafür notwendige Technologie zu beschaffen, zu demonstrieren oder auch nur in einer Presseaussendung zu protestieren.
Fekters Äußerungen waren nicht der erste Versuch, eine dringend gebotene Kritik am Antisemitismus in den Diskussionen über die Finanzkrise für die Verteidigung einer bestimmten Politik zu instrumentalisieren. Schon in der deutschen Debatte über Managergehälter ging es 2008 dem Präsidenten des Instituts für Wirtschafsforschung Hans-Werner Sinn und dem heutigen Bundespräsidenten Christian Wulff mit ihrer Gleichsetzung des Geraunzes über Manager mit antisemitischen Parolen aus den 1920er Jahren nicht um eine Kritik antisemitischer Denkmuster. Ähnliches kennt man aus den Diskussionen über antisemitische Stereotype im Marxschen Werk und über Antisemitismus im Marxismus, die gerne als moralisch scheinbar einwandfreies Argument gegen radikale Gesellschaftskritik in Anschlag gebracht werden. Bei rechten Marx-Kritikern fungiert der Vorwurf des Antisemitismus gegen den Autor der Kritik der politischen Ökonomie als billiger Vorwand für die Diskreditierung materialistischer Gesellschaftskritik. Man denke nur an Konrad Löw, dessen Mitte der 1990er-Jahre erschienene wüste Tirade »Mythos Marx« keine Kritik darstellt, sondern Ausdruck antiemanzipatorischer Ressentiments eines Autors ist, der Publikationen wie der »National-Zeitung« Interviews gibt und in seinen Arbeiten selbst antisemitische Klischees verbreitet. Hans-Olaf Henkel, der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, empörte sich 2008 mit Verweis auf einen angeblichen Marxschen Antisemitismus, der den Straftatbestand der Volksverhetzung erfülle, über den finanziellen Beitrag der deutschen Regierung zur Marx-Engels-Gesamtausgabe. Und die rechts-konservative Junge Europäische Studenteninitiative forderte Anfang der 1990er Jahre mit der gleichen Begründung die Umbenennung des Karl-Marx-Hofes in Wien.
Einer derartigen »Kritik« geht es nicht um eine Erklärung, wie aus der Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und dem Willen zur Veränderung, wie aus der Sehnsucht nach dem ganz Anderen eine mal ressentimenthafte, mal regressive, mal mörderische Partizipation am gesellschaftlichen Unheil im Wege seiner scheinbaren Bekämpfung wurde, sondern die Sehnsucht nach dem Anderen und der Wille zur Veränderung selbst sollen diskreditiert werden. Ganz so wie Maria Fekter suchen Figuren wie Hans-Werner Sinn oder Hans-Olaf Henkel wohlfeile Munition zur Verteidigung der Charaktermasken des Kapitals und zur Legitimation der von ihnen favorisierten Politik.
Doch unabhängig von den Äußerungen von Fekter oder Sinn, die sich keine Sekunde für die Opfer des Antisemitismus interessieren und sie dementsprechend zum Material im politischen Kleinkrieg degradieren, bietet die Debatte über Spekulanten und Manager genügend Anlass zur Kritik. In Diskussionen über die Globalisierung finden sich zahlreiche Argumentationen, die zumindest strukturelle Ähnlichkeiten zum Antisemitismus aufweisen. Und immer wieder auch explizite Identifikationen der Mechanismen der globalen Kapitalverwertung mit Juden oder einem vermeintlich »jüdischen Prinzip«. Letzteres insbesondere bei nationalsozialistischen oder islamistischen Kapitalismuskritikern von Ungarn bis in den Iran, immer wieder jedoch auch in der globalen Linken.
Das resultiert nicht aus der Radikalität der Gesellschaftskritik von Attac oder ähnlichen Vereinen, sondern aus einem Mangel an Radikalität. Angesichts der schlechten Einrichtung der Welt fordert man nicht etwa den Umsturz aller Verhältnisse, »in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« (Marx), sondern – eine neue Steuer. Ob in den Reden sozialdemokratischer Staatsfetischisten, christlicher Sozialethiker oder linker Globalisierungskritiker: Man will den »Auswüchsen« des »wurzellosen Finanzkapitalismus« zu Leibe rücken. Und so muss es einen auch gar nicht wundern, dass manche Verlautbarung der Globalisierungskritiker klingt, als wollten sie der nationalsozialistischen Unterscheidung in gutes »schaffendes« und böses »raffendes« Kapital nacheifern.
Die Grundlage dieser Trennung ist keineswegs eine Erfindung der nationalsozialistischen Ideologie, sondern im Arbeits- und Staatsfetischismus jeglicher Couleur angelegt: auf der einen Seite die Arbeitsplätze schaffenden, verantwortungsbewussten Industriekapitäne; auf der anderen das unproduktive Kapital der Zirkulationssphäre, das in gemeinschaftsfeindlicher Absicht rastlos seine Krakenarme um den Globus spannt und die »Würde der Völker« angreife, zu deren Verteidigung nicht nur die lateinamerikanischen Linkspopulisten und Ahmadinejad-Freunde Hugo Chavez, Evo Morales und Daniel Ortega angetreten sind. Ein Paradebeispiel aus der Populärkultur für die Unterscheidung von bösem »raffenden« und gutem »schaffenden« Kapital bietet der Spielfilm Pretty Woman, in dem der wurzellose Zirkulationskapitalist von der schönen Prostituierten zum bodenständigen Produktionskapitalisten bekehrt wird.
Mit den leidenschaftlichen Anklagen gegen die »Spekulanten« und »Finanzhaie« wird keine dringend gebotene Sozialkritik formuliert, sondern Sozialneid gepredigt. Gesellschaftskritik wurde schon längst durch die Markierung von vermeintlich Schuldigen ersetzt. Anstatt die gesellschaftlichen Gründe für das menschliche Elend ins Visier zu nehmen, werden Personifikationen der gesellschaftlichen Verhältnisse dem Volkszorn ausgeliefert. In der Debatte über so genannte »Heuschrecken« sind wichtige Elemente des Antisemitismus gegenwärtig: von biologistischen Metaphern und dem Hass gegenüber Eindringlingen, über die Personalisierung sozialer Verhältnisse, bis hin zur Scheidung in »raffendes« und »schaffendes« Kapital. Die globale Kapitalverwertung bleibt unbegriffen und es wird lediglich eine konformistische Nörgelei an ihren Erscheinungen formuliert. Der Staat wird als Hüter des Allgemeinwohls gegen die als verwerflich wahrgenommenen Kräfte der Ökonomie in Anschlag gebracht, und diese Ökonomie wird in eine konkretistisch verklärte produktive und eine moralisch zu attackierende spekulative aufgespalten. Das führt mit einer gewissen Notwendigkeit zu einem ressentimenthaften Konkretisierungswahn, der eines der zentralen Elemente des Antisemitismus darstellt.
Zur Kritik dieser Zusammenhänge bedarf es allerdings nicht der dumpfen Wortmeldungen einer Finanzministerin, sondern einer Kritik der politischen Ökonomie. Schon Karl Marx wusste, dass gerade das zinstragende Kapital in, wie er in den »Theorien über den Mehrwert« schreibt, seiner »wunderlichsten und zugleich der populärsten Vorstellung nächsten Gestalt” der bevorzugte »Angriffspunkt einer oberflächlichen Kritik” sein wird. Es ist diese »oberflächliche Kritik«, die maßgeblich zu den Affinitäten zahlreicher Ausprägungen der Kapitalismuskritik zum Antisemitismus beigetragen hat. Antisemitismus in der Linken resultiert nicht aus dem Marxschen Denken, sondern aus dem Desinteresse großer Teile der Linken für die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie. Ganz so, wie das mal indifferente, mal von Misstrauen geprägte, mal hasserfüllte Verhalten vieler Linker gegenüber Israel nicht aus der materialistischen Kritik der Politik und des Staates resultiert, sondern aus der völligen Ignoranz des linken Antizionismus gegenüber dieser Kritik.

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